Arbeitsrecht
April 2018 Arztbesuch während der Arbeitszeit
veröffentlicht am 03.04.2018
Die Grundzüge des Rechts der Entgeltfortzahlung im Falle eines Arztbesuchs während der Arbeitszeit sind schon längst geklärt. Schon 1984 hat das BAG herausgearbeitet, dass ein Fall unverschuldeter Arbeitsversäumnis auch bei einem Arztbesuch vorliegen kann, nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer von einem Arzt zu einer Untersuchung oder Behandlung einbestellt wird und der Arzt auf terminliche Wünsche des Arbeitnehmers keine Rücksicht nehmen will oder kann. Hält dagegen ein Arzt außerhalb der Arbeitszeit Sprechstunden ab und sprechen keine medizinischen Gründe für einen sofortigen Arztbesuch, muss der Arbeitnehmer die Möglichkeit der Sprechstunde außerhalb der Arbeitszeit wahrnehmen.
Trotzdem kommt es auch aktuell noch zu Rechtsfragen, die von den Gerichten unterschiedlich beantwortet werden. So hob das LAG Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 08.02.2018 (Az. 7 Sa 256/17) das vorhergehende Urteil des Arbeitsgerichts Osnabrück vom 22.02.2017 auf und änderte das zulasten des Klägers ausgefallene erstinstanzliche Urteil zu seinen Gunsten ab. Der Arbeitgeber wurde verurteilt, dem Arbeitszeitkonto 1,5 Stunden gutzuschreiben. Der Streitwert betrug 24,29 € brutto.
Der Sachverhalt war klar. Der Kläger fehlte wegen eines während der Arbeitszeit notwendig wahrzunehmenden Arztbesuchs. Streitig war dagegen die Frage, wie die Entgeltfortzahlung geregelt war.
Grundsätzlich besteht ein Anspruch auf Vergütung für derartige Arztbesuche aufgrund der Regelung des § 616 BGB. Allerdings enthält § 616 BGB kein zwingendes Recht. Im Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag kann die Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB ganz oder teilweise abbedungen werden. Steht in einem Arbeitsvertrag der einfache Satz "§ 616 BGB findet keine Anwendung", führt dies dazu, dass der Arbeitnehmer in einem solchen Fall keine Entgeltfortzahlung verlangen kann. Er muss sich entweder unbezahlt freistellen lassen oder Urlaub bzw. Freizeitausgleich in Anspruch nehmen.
Hintergrund des Rechtsstreits war eine tarifliche Regelung für den Groß- und Außenhandel Niedersachsen. Ähnliche Regelungen finden sich aber auch in vielen anderen Tarifverträgen. Der streitgegenständliche Tarifvertrag enthält in § 13 einen Katalog für Fälle, in denen für ein bis drei Arbeitstage bezahlt freizustellen ist wie beispielsweise für den Fall der Eheschließung. Im Anschluss an diesen Katalog ist festgehalten, dass in diesem Katalog die in Anwendung des § 616 BGB möglichen Fälle abschließend festgelegt sein sollen. Das ist eine zulässige Modifikation. Weitere Fälle eines Anspruchs nach § 616 BGB sind damit eigentlich ausgeschlossen.
Das Problem bestand darin, dass der Tarifvertrag noch einen anschließenden § 14 unter dem Titel "Arbeitsverhinderung" enthält, in dem wiederum festgehalten wird, dass in anderen Fällen unverschuldeter Arbeitsversäumnis (in Abgrenzung zur Arbeitsunfähigkeit bzw. Durchführung von Heilverfahren) das Entgelt nur für die unumgänglich notwendige Abwesenheit, höchstens jedoch bis zur Dauer von vier Stunden fortgezahlt wird. Mit diesem scheinbaren Widerspruch hatten sich die beiden Gerichte zu befassen. Das LAG Niedersachsen kam zu dem Schluss, dass § 13 sich nur mit ganztägigen Freistellungen befasst und die Fälle der stundenweisen Abwesenheit nicht mitumfasst. Deshalb hat es dem Kläger letztlich recht gegeben.
Ob also ein Anspruch aus § 616 BGB wegen eines Arztbesuchs während der Arbeitszeit besteht, kann nicht einheitlich beantwortet werden. Vielmehr muss genau geprüft werden, welche Regelungen überhaupt zur Anwendung kommen.
Ein Ausschluss von Ansprüchen aus § 616 BGB im Arbeitsvertrag führt nebenbei bemerkt auch dazu, dass im Falle einer Freistellung wegen Erkrankung eines Kindes (§ 45 SGB V) keine Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber zu erbringen ist, sondern der Arbeitnehmer vielmehr Kinderkrankengeld in Anspruch nehmen muss.
- Autor: Rechtsanwalt Christoph Schmedding
- Telefon: 0441 21027-71
- E-Mail: christoph.schmedding@agv-oldenburg.de