Arbeitsrecht
Juli 2024 Pflicht zur Vorlage der Bewerbungsunterlagen an den BR kann auch digital erfüllt werden
veröffentlicht am 01.07.2024
Der Betriebsrat ist vor jeder Einstellung durch Vorlage von Unterlagen zu beteiligen gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG. Das Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 13.12.2023 - 1 ABR 28/22, hat entschieden, dass ein Betriebsrat auch Bewerbungsunterlagen in digitaler Form akzeptieren muss. Damit hat das BAG Klarheit geschaffen für Arbeitgeber, die Bewerbungsprozesse digital durchführen.
Im März 2021 schrieb ein Unternehmen der Getränkeindustrie eine Stelle als „Prozess- und Projektspezialist Technik (m/w/d)“ aus, welche bisher im Betrieb nicht vorhanden war. Verwendet wird im Betrieb eine Software zum „Recruiting“, welches Stellenausschreibungen verwaltet und ein internes sowie ein externes Bewerberportal enthält. Aus den 33 externen eingegangenen Bewerbungen wurde ein geeigneter Kandidat ausgewählt und der Arbeitgeber beantragte daraufhin beim Betriebsrat die Zustimmung zur Einstellung gemäß § 99 BetrVG. Danach sind dem Betriebsrat „die erforderlichen Bewerbungsunterlagen vorzulegen und Auskunft über die Person der Beteiligten zu geben“. Der Betriebsrat forderte die Vorlage des Protokolls des Bewerbungsgesprächs sowie die Stellenbeschreibung für die neu geschaffene Stelle. Sodann verweigerte er die Zustimmung zu der geplanten Einstellung. Anfang August 2021 beantragte die Arbeitgeberin die gerichtliche Zustimmungsersetzung. Das Arbeitsgericht entschied positiv für die Arbeitgeberin über den Zustimmungsersetzungsantrag, sodann wurde der Arbeitnehmer vorläufig eingestellt. In der Beschwerdeinstanz wurde vom Landesarbeitsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichtes bestätigt. Der Betriebsrat hat stets die Auffassung vertreten, dass die Zustimmung nicht ersetzt werden könne, weil er unter anderem nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden sei. Aus Sicht des Betriebsrates hätten die „Bewerbungsunterlagen“ in Papierform vorgelegt werden müssen.
Das Bundesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die digitale Zurverfügungstellung von Bewerbungsunterlagen den Anforderungen gemäß § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG genügt. Den Mitgliedern des Betriebsrats stand nach einer Regelung einer Konzernbetriebsvereinbarung ein Einsichtsrecht in die relevanten Datenfelder des Programms „Recruiting“ zur Verfügung. Mithilfe der dem Betriebsrat zur Verfügung gestellten Laptops konnte dieser jederzeit die im Programm hinterlegten Anschreiben und Lebensläufe sowie Zeugnisse und Zertifikate aller Bewerber einsehen. Anders als der Betriebsrat meint, war die Arbeitgeberin gerade nicht gehalten, die Bewerbungsunterlagen in Papierform vorzulegen.
Dazu hat das Bundesarbeitsgericht § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG ausgelegt und hier ein funktionales Verständnis des Begriffes gezeigt: Das Gesetz geht davon aus, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat nur die ihm selbst übermittelten Unterlagen zur Verfügung stellen muss. Liegen diese in digitaler Form vor, so ergibt sich daraus, dass auch in dieser Form weitergegeben werden kann. Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung, welcher darin besteht, dem Betriebsrat diejenigen Informationen zu verschaffen, die er benötigt, um seine Rechte sachgerecht ausüben zu können. Ebenfalls soll der Betriebsrat vor einer Einstellung die Möglichkeit haben, weitere Gesichtspunkte auch hinsichtlich anderer Stellenbewerber anzusprechen. Sinnvollerweise bekommt der Betriebsrat den gleichen Informationsstand wie der Arbeitgeber gewährt im Rahmen des gemeinsam genutzten Systems. Letztlich spricht auch die Gesetzeshistorie für die modernere Auslegung, denn die mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz geänderten (neuen) gesetzlichen Bestimmungen lassen erkennen, dass der Gesetzgeber einen Bedarf für Änderungen hinsichtlich Video- und Telefonkonferenz, digitaler Unterzeichnung und Niederlegung von Vereinbarungen in elektronischer Form sieht.
Datenschutzrechtliche Bedenken wurden im Beschluss entkräftet. In diesem Zusammenhang wird auf die umfangreiche Verschwiegenheitspflicht der Betriebsratsmitglieder verwiesen.
Erfreulicherweise hat das BAG in dem vorliegenden Beschluss klargestellt, was in vielen Unternehmen schon vorher praktiziert wurde. Nicht abschließend geklärt wurde, ob auch in denjenigen Fällen ausreichend vorgelegt wird, in denen nur an einem einzelnen stationären Rechner ein entsprechendes Leserrecht gegeben ist. Allerdings dürfte der „jederzeit mögliche Zugriff auf die hinterlegten Bewerberdaten“ ausschlaggebendes Kriterium sein. Arbeitgeber sollten jedoch stets darauf achten, den Zugriff des Betriebsrats auf Unterlagen auf die zwingend erforderlichen Informationen sowie den erforderlichen Personenkreis zu beschränken.
Selbstverständlich unterstützen die Juristinnen und Juristen des Verbandes gerne alle Mitglieder bei den damit verbundenen Fragestellungen.
- Autor: Rechtsanwalt Benjamin Schulte-Sienbeck
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