Arbeitsrecht
Juni 2024 Die Entgeltabrechnung über das digitale Mitarbeiterpostfach
veröffentlicht am 01.06.2024
Jeder Mitarbeiter hat einen Anspruch auf Erteilung einer Entgeltabrechnung. Auch im digitalen Zeitalter hat sich daran grundsätzlich nichts geändert. Der Anspruch ergibt sich nach wie vor aus § 108 Abs. 1 S. 1 GewO.
Schon dem Gesetz lässt sich entnehmen, dass die Entgeltabrechnung auch in Textform nach
§ 126b BGB erteilt werden kann. Die Rechtsprechung ist sich darin einig, dass die erforderliche Textform gewahrt wird, wenn eine lesbare Erklärung, in der die Person des Erklärenden genannt wird, auf einem dauerhaften Datenträger abgegeben wird. Textform ist also nicht gleichzusetzen mit Papierform.
Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass Unternehmen ihre Entgeltabrechnung unabhängig von einer Zustimmung der Mitarbeiter so umstellen dürfen, dass diese lediglich in einem digitalen Mitarbeiterpostfach zur Verfügung gestellt wird.
Mit etwas unterschiedlichen Nuancen haben sich das Landesarbeitsgericht Hamm in einem Urteil vom 23.09.2021 (2 Sa 179/21) und ganz aktuell das Landesarbeitsgericht Niedersachsen in einem Urteil vom 16.01.2024 (9 Sa 575/23) mit entsprechenden Klagen befasst. Gegen das Urteil des LAG Niedersachsen wurde unter dem Az. 9 AZR 48/24 Revision eingelegt. Ein Verhandlungstermin vor dem Bundesarbeitsgericht ist noch nicht veröffentlicht worden.
Beide Landesarbeitsgerichte haben festgestellt, dass die Erteilung einer Lohnabrechnung nicht nur die Erstellung und Bereitstellung umfasst, sondern von dem Aussteller auch verlangt, für einen Zugang bei dem Arbeitnehmer zu sorgen.
Die Bereitstellung auf einem Onlineportal ist dabei anders zu beurteilen als die Übermittlung von Lohnabrechnungen an eine dienstliche E-Mail-Adresse. Geschuldet wird nicht nur die Bereitstellung zur Abholung durch den Arbeitnehmer, sondern eine Erteilung in dem Sinn, dass der Arbeitgeber die in elektronischer Form erstellte Lohnabrechnung in den Machtbereich des Arbeitnehmers verbringen muss. In dieser Form kann das nur angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer sich mit dem Empfang elektronischer Erklärungen ausdrücklich oder zumindest schlüssig einverstanden erklärt hat. Daran fehlte es aber in beiden Fällen
Das Landesarbeitsgericht Hamm hat darauf hingewiesen, dass die Berufung des Klägers auf den erforderlichen Zugang nicht rechtsmissbräuchlich ist. Der Kläger hat lediglich die von der Beklagten gewünschte Mitwirkung unterlassen. Daran ändert die technische Entwicklung und das Bedürfnis nach Vereinfachung betrieblicher Abläufe und Vermeidung von Papier nichts.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen musste sich darüber hinaus damit auseinandersetzen, ob die fehlende Einwilligung durch eine Betriebsvereinbarung ersetzt werden kann. Diese Möglichkeit hat es im Ergebnis aber ausgeschlossen.
Die Regelungsmacht der Betriebsparteien ergibt sich über die Mitbestimmungstatbestände des Betriebsverfassungsgesetzes und endet außerhalb dieser Mitbestimmungstatbestände dort, wo in der Rechtsposition der Beschäftigten eingegriffen wird.
Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG betrifft Zeit, Ort und Auszahlung der Arbeitsentgelte, nicht aber die Form der Entgeltabrechnung.
In den Anspruch nach § 108 Abs. 1 S. 1 GewO können die Betriebsparteien dagegen nicht gestaltend zulasten der Arbeitnehmer eingreifen. Höherrangiges Recht räumt hier den Beschäftigten eine Rechtsposition ein. Betriebsvereinbarungen müssen die Individualrechte – und damit auch das Recht auf die Erteilung einer Abrechnung – beachten.
Nach derzeitiger Rechtslage bleibt damit dem Arbeitgeber bzw. den Betriebsparteien die Aufgabe, für eine umfassende Nutzung eines digitalen Mitarbeiterpostfach aller Arbeitnehmer zu gewinnen, um die notwendige Einwilligung zu erhalten. Soweit dies nicht gelingt, muss nach wie vor auf diesen Weg verzichtet und der Zugang der Abrechnung anderweitig gewährleistet werden.
- Autor: Rechtsanwalt Christoph Schmedding
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