Arbeitsrecht
Januar 2024 Passgenaue Krankmeldung nach Kündigung durch den Arbeitgeber ist angreifbar
veröffentlicht am 02.01.2024
Der Beweiswert von (Folge-)Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann erschüttert sein, wenn der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach Zugang der Arbeitgeber-Kündigung eine oder mehrere Folgebescheinigungen vorlegt, die passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfassen, und er unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Beschäftigung aufnimmt. Das hat das BAG in einer aktuellen Entscheidung vom 13.12.2023 (5 AZR 137/23) klargestellt.
Der Sachverhalt im aktuellen Fall stellte sich wie folgt dar:
Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der Beklagten beschäftigt. Er legte am Montag, dem 2. Mai 2022, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen eines Atemwegsinfekts für die Zeit vom 2. bis zum 6. Mai 2022 vor. Mit Schreiben vom 2. Mai 2022, das dem Kläger am 3. Mai 2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. Mit Folgebescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 wurde eine durchgehende Arbeitsunfähigkeit bis zum 31. Mai 2022 (einem Dienstag) bescheinigt. Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber auf. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung mit der Begründung, der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert. Dem widersprach der Kläger, weil die Arbeitsunfähigkeit bereits vor dem Zugang der Kündigung bestanden habe. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung gerichteten Klage für die Zeit vom 2. bis zum 31. Mai 2022 stattgegeben.
Doch in der höchsten Instanz ging der Kläger mit seiner Forderung nach Entgeltfortzahlung weitgehend leer aus. Die Revision der Beklagten hatte teilweise – bezogen auf den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 – Erfolg. Denn nach dem ersten Attest, das eine Woche lang galt und auch vom BAG anerkannt wurde, hatte der Kläger eben passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist noch zwei weitere AUBs vorgelegt und unmittelbar danach war er wieder arbeitsfähig. Das war dem Bundesarbeitsgericht suspekt.
Das BAG betonte, dass es nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und ob für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Wichtig bleibe stets die einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände.
Dabei sei die zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigung und Krankmeldung ein wichtiger Umstand, der den Beweiswert eines Attests erschüttern könne. Gleiches gelte für eine passgenau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses attestierte Arbeitsunfähigkeit, wenn unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle angetreten wird.
Diese Umstände hat die Vorinstanz (das LAG Niedersachsen) laut BAG für die Folgebescheinigungen nicht ausreichend gewürdigt und eine Erschütterung des Beweiswerts für die Zeit ab dem 07. Mai 2022 (1. Folgebescheinigung) fälschlicherweise nicht angenommen. Da der Beweiswert jedenfalls für die Folgebescheinigungen im vorliegenden Fall als erschüttert anzusehen sei, müsse der Kläger nunmehr im fortgesetzten Verfahren vor dem LAG den vollen Beweis dafür erbringen, dass er tatsächlich für die Zeit vom 07. bis zum 31.05.2023 krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.
Was folgt aus dem Urteil?
Mit der aktuellen Entscheidung setzt das BAG seine bisherige, für den Arbeitgeber durchaus erfreuliche Rechtsprechung zur Erschütterung des Beweiswertes einer AUB konsequent fort. Der Arbeitgeber kann den Beweiswert auch von passgenauen Folgebescheinigungen im Nachgang einer Kündigung erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und ggf. beweist, die nach einer Gesamtbetrachtung Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers geben. Dabei betont das BAG, dass natürlich auch weiterhin stets die Umstände des Einzelfalls, vor allem der Zeitpunkt und die Dauer der Krankschreibung im Fall einer Kündigung, maßgeblich bleiben.
Eines darf aber in der Diskussion nicht vergessen werden:
Selbst wenn die Erschütterung des Beweiswerts eines ärztlichen Attests bejaht wird, führt dies nicht automatisch zum Entfallen des Anspruchs auf Lohnfortzahlung des Arbeitnehmers. Die Folge ist, dass die Beweislast auf den Arbeitnehmer zurückfällt. Dieser muss dann darlegen, dass er tatsächlich erkrankt war. Dies kann er auch weiterhin machen, indem er etwa seine Krankheitsumstände näher erläutert, ärztliche Befundberichte beibringt oder den die AU ausstellenden Arzt als Zeugen im Zahlungsprozess nennt. Sollte der behandelnde Arzt die Erkrankung bestätigen, verbleibt es bei dem Entgeltfortzahlungsanspruch.
Bei Fragen zum Urteil und/oder zu der Gesamtthematik melden Sie sich jederzeit gerne bei einem Juristen unseres Verbandes.
- Autor: Rechtsanwältin Ruth Wreesmann
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