Arbeitsrecht
August 2023 Krankheitsbedingte Kündigung und das Erfordernis des betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 167 Abs. 2 SGB IX
veröffentlicht am 01.08.2023
Eine krankheitsbedingte Kündigung setzt neben einer negativen Gesundheitsprognose und dem Vorliegen von erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen auch voraus, dass eine durchzuführende Interessenabwägung zulasten des Arbeitnehmers ausfällt.
Da eine negative Gesundheitsprognose einen dem Arbeitgeber in der Regel nicht möglichen „Blick in die Zukunft“ bedeutet, stellt die Rechtsprechung auf die Fehlzeiten in der Vergangenheit ab. Bei Langzeiterkrankungen wird im Regelfall von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen, sofern der Mitarbeiter mindestens zwei Jahre am Stück durchgängig fehlte. Bei häufigen Kurzerkrankungen kann eine negative Gesundheitsprognose angenommen werden, wenn der Mitarbeiter innerhalb der letzten drei Jahre vor Ausspruch der Kündigung jeweils mehr als sechs Wochen erkrankt war. Natürlich muss trotz der vorstehenden Orientierungswerte immer eine Einzelfallbetrachtung vorgenommen werden.
Betriebliche Beeinträchtigungen ergeben sich unter anderem durch die aufgrund der Fehlzeiten entstandenen Entgeltfortzahlungskosten.
Bei der durchzuführenden Interessenabwägung sind das Weiterbeschäftigungsinteresse des Mitarbeiters (z.B. aufgrund der Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten etc.) und das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers gegeneinander abzuwägen.
Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die ordnungsgemäße Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX. Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, soll der Arbeitgeber mit den am BEM-Verfahren Beteiligten klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden oder mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.
Ist das BEM-Verfahren erfolglos abgeschlossen und sind hieraus nicht etwa mildere Mittel als eine krankheitsbedingte Kündigung hervorgetreten, fällt die durchzuführende Interessenabwägung häufig zulasten des Beschäftigten aus.
Handelt es sich bei dem zu kündigenden Mitarbeiter um einen Mitarbeiter mit Schwerbehinderung oder Gleichstellung ist außerdem noch die Zustimmung des Integrationsamtes erforderlich. Dieses prüft insbesondere, ob die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung des Arbeitnehmers steht bzw. der wahre Grund der beabsichtigten Kündigung zumindest mittelbar in der Behinderung liegt.
Die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer krankheitsbedingten Kündigung begründet daher auch nicht die Vermutung, dass ein (unterbliebenes) betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können, so das BAG zuletzt mit Urteil vom 15.12.2022, Az. 2 AZR 162/22.
Das BAG hatte hier über den folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Die Klägerin, einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt, war bei der Beklagten seit dem 01.01.1999 als Versicherungssachbearbeiterin beschäftigt. Seit dem 12.12.2014 fehlte sie aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit ununterbrochen. Am 24.05.2019 fand schließlich sogar auf Initiative der Klägerin ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Mitarbeiter des Integrationsamtes teilnahmen.
Noch am selben Tag lud die Beklagte die Klägerin auch zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement ein, woraufhin die Klägerin mitteilte, an diesem teilnehmen zu wollen. Sie unterzeichnete jedoch die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht, sondern stellte Rückfragen. Die Beklagte lud die Klägerin daraufhin zu einem BEM-Gespräch am 24.07.2019 ein. In diesem, zu dem die Klägerin auch erschienen ist, wies die Beklagte sie darauf hin, dass die Durchführung des BEM ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht möglich ist. Das BEM-Verfahren wurde im Anschluss nicht weiterverfolgt.
Am 10.12.2019 beantragte die Beklagte schließlich die Zustimmung des Integrationsamtes zu der von ihr beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung. Diese wurde mit Bescheid vom 18.05.2020 erteilt, woraufhin die Beklagte am 26.05.2020 ordentlich zum 31.12.2020 kündigte.
Die Klägerin trägt im Kündigungsschutzverfahren vor, es hätten der Beklagten mildere Mittel als die ausgesprochene Kündigung zur Seite gestanden. Durch einen Einsatz in einem Einzelbüro oder alternativ die Bereitstellung eines sogenannten Active-Noise-Cancelling-Headsets hätte beispielsweise ihre Konzentrationsfähigkeit erheblich gesteigert sowie die Belastung und der Stress durch den vorhandenen Tinnitus gesenkt werden können. Diese milderen Mittel hätten gemeinsam im BEM-Verfahren eruiert werden können.
Die beklagte Arbeitgeberin vertrat hingegen die Auffassung, dass die langandauernde Erkrankung in Verbindung mit einer Stellungnahme der behandelnden Ärztin vom 04.03.2020, eingeholt durch das Integrationsamt, die negative Prognose begründe, dass es sich bei der Erkrankung der Klägerin um eine dauerhafte gesundheitliche Einschränkung handele. Der Klägerin könne insoweit auch kein ihrem Gesundheitszustand gemäß ärztlicher Stellungnahme entsprechender Arbeitsplatz zugewiesen werden.
Das BAG stellte zu diesem Sachverhalt das Folgende fest:
Kommt der Arbeitgeber seiner gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX bestehenden Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht nach, ist er im Kündigungsschutzprozess darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein BEM nicht hätte dazu beitragen können, weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken.
Eine schriftliche Zustimmung des Arbeitnehmers in die Verarbeitung seiner im Rahmen des BEM erhobenen, personenbezogenen und Gesundheitsdaten sieht das SGB IX in § 167 Abs. 2 nicht zwingend als tatbestandliche Voraussetzung für die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements vor. Dem Arbeitgeber sei es daher auch ohne Vorliegen der datenschutzrechtlichen Einwilligung möglich und zumutbar, mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen und jedenfalls im Erstgespräch den Verfahrensablauf zu besprechen. Datenschutzrechtliche Problematiken hinsichtlich der Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten seien frühestens dann von Bedeutung, wenn sich die Beteiligten des BEM verständigt haben, welche konkreten Angaben über den Gesundheitszustand für eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten erforderlich werden.
Das bloße Vorliegen der Zustimmung des Integrationsamtes begründe auch nicht die Vermutung, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement die Kündigung nicht hätte verhindern können.
Auch diese Entscheidung des BAG, betreffend unter anderem das betriebliche Eingliederungsmanagement, verdeutlicht erneut, wie essenziell die ordnungsgemäße Durchführung des BEM vor dem Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ist.
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Mehr zu dem Thema erfahren Sie in unserem AGV-Podcast Nr. 26 "Krankheitsbedingte Kündigung und das Erfordernis des betrieblichen Eingliederungsmanagements gem. § 167 Abs. 2 SGB IX" im Mitgliederportal.
- Autor: Rechtsanwältin Svenja Katharina Brings
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