Arbeitsrecht
Juli 2023 Rechtmäßigkeit von Abweichungen vom "equal pay"-Grundsatz durch Tarifverträge der Zeitarbeit (iGZ-Tarifvertrag)
veröffentlicht am 01.07.2023
Von dem Grundsatz, dass Leiharbeitnehmer für die Dauer einer Überlassung Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt wie vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers haben ("equal pay"), kann nach § 8 Abs. 2 AÜG ein Tarifvertrag "nach unten" abweichen mit der Folge, dass der Verleiher dem Leiharbeitnehmer nur die niedrigere tarifliche Vergütung zahlen muss. Ein entsprechendes Tarifwerk hat der Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) mit der Gewerkschaft ver.di geschlossen. Dieses genügt nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 31.05.2023 – 5 AZR 143/19 den Anforderungen der Leiharbeits-Richtlinie. Ein Etappensieg für die Tarifautonomie in der Zeitarbeit.
Dem Urteil ist besondere Beachtung deshalb zu schenken, weil der EuGH mit Urteil vom 15.12.2022 (C-311/21) definiert hatte, ein Tarifvertrag, der negative Abweichungen vom Equal-Pay-Grundsatz für Zeitarbeitnehmer vorsehe, müsse sog. "Ausgleichsvorteile" für sie an anderer Stelle bereithalten. Weil es sich hierbei um einen unbestimmten und von der Rechtsprechung noch nicht näher definierten Rechtsbegriff handelt, war befürchtet worden, dass sich hieraus ein Risiko für die Wirksamkeit von Tarifverträgen ergäbe. Das aktuelle Urteil zeigt nun eine erste – erfreulicherweise die Wirksamkeit des Tarifvertrages stützende – obergerichtliche Wertung in diesem Zusammenhang auf:
Die Klägerin war von der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitnehmerin in ein Einzelhandelsunternehmen als Kommissioniererin überlassen und verdiente zuletzt 9,23 Euro brutto/Stunde. Sie hat behauptet, vergleichbare Stammarbeitnehmer erhielten einen Stundenlohn von 13,64 Euro brutto und unter Berufung auf den Gleichstellungsgrundsatz des § 8 Abs. 1 AÜG Differenzvergütung iHv. 1.296,72 Euro brutto verlangt. Sie hat gemeint, das auf ihr Leiharbeitsverhältnis Anwendung findende Tarifwerk von iGZ und ver.di sei mit dem in der Leiharbeitsrichtlinie geforderten Gesamtschutz der Leiharbeitnehmer nicht vereinbar.
Das BAG gab nun der Arbeitgeberin recht. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt, also auf ein Arbeitsentgelt, wie es vergleichbare Stammarbeitnehmer des Entleihers erhalten, weil der streitgegenständliche Tarifvertrag die abweichende Vergütungshöhe der Klägerin wirksam festgelegt hatte, so das BAG. Eine Schlechterstellung der Klägerin allein im Hinblick auf die Vergütungshöhe lasse Art. 5 Abs. 3 Leiharbeits-RL zu, sofern dies unter "Achtung des Gesamtschutzes der Leiharbeitnehmer" erfolgt. Die vom EuGH hierfür geforderten Ausgleichsvorteile lägen vor. Ein möglicher Ausgleichsvorteil kann nach der Rechtsprechung des EuGH bspw. – wie im entschiedenen Fall – die Fortzahlung des Entgelts auch in verleihfreien Zeiten sein. Anders als in einigen anderen europäischen Ländern sind verleihfreie Zeiten nach deutschem Recht auch bei befristeten Leiharbeitsverhältnissen stets möglich, etwa wenn – wie im Streitfall – der Leiharbeitnehmer nicht ausschließlich für einen bestimmten Einsatz eingestellt wird oder der Entleiher sich vertraglich ein Mitspracherecht bei der Auswahl der Leiharbeitnehmer vorbehält. Außerdem hat der deutsche Gesetzgeber mit § 11 Abs. 4 Satz 2 AÜG für den Bereich der Leiharbeit zwingend sichergestellt, dass Verleiher das Wirtschafts- und Betriebsrisiko für verleihfreie Zeiten uneingeschränkt tragen, weil der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung nach § 615 Satz 1 BGB, der an sich abdingbar sei, im Leiharbeitsverhältnis nicht abbedungen werden kann. Zudem ist seit dem 1. April 2017 die Abweichung vom Grundsatz des gleichen Arbeitsentgelts nach § 8 Abs. 4 Satz 1 AÜG zeitlich grundsätzlich auf die ersten neun Monate des Leiharbeitsverhältnisses begrenzt.
Dass all diese Aspekte zur Bejahung der erforderlichen "Ausgleichsvorteile" vom BAG herangezogen wurden, spricht für ein praxisnahes Verständnis dieses Rechtsbegriffs. Welche Ausgestaltungen die Rechtsprechung in diesem Zusammenhang künftig annehmen wird, werden wir weiterhin für Sie beobachten. Der Arbeitgeberverband Oldenburg steht seinen Mitgliedsunternehmen insofern selbstverständlich gern zur Verfügung.
- Autor: Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin (BMWA) Verena Albrecht
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