April 2023
Gleichbehandlung schlägt Vertragsfreiheit
veröffentlicht am 01.04.2023
Das Bundesarbeitsgericht hat am 16.02.2023 (8 AZR 450/21) ein bemerkenswertes und öffentlich viel beachtetes Urteil zur Gleichbehandlung gefällt.
Der beklagte Arbeitgeber suchte mehrere Beschäftigte für den Außendienst im Vertrieb.
Es bewarb sich zunächst ein männlicher Bewerber, der mit dem Entgeltangebot des Arbeitgebers von 3.500 Euro nicht einverstanden war und mit dem man sich auf eine Zahlung von 4.500 Euro, später 4.000 Euro (zuzüglich variabler Vergütung) einigte und ihn zum 1. Januar 2017 einstellte. Später bewarb sich die Klägerin. Sie akzeptierte ohne weiteres das Arbeitgeberangebot eines Grundgehalts von 3.500 Euro und wurde zum 01. März 2017 eingestellt.
Nachdem sie vom Entgelt ihres männlichen Kollegen erfuhr, klagte sie rückwirkend ab 01. März 2017 die Entgeltdifferenz ein.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.
Das Bundesarbeitsgericht sprach der Klägerin gegen die Vorinstanzen die Entgeltdifferenz zu. Nach Ansicht der höchsten Arbeitsrichter hat die Beklagte die Klägerin dadurch aufgrund ihres Geschlechts benachteiligt, dass sie ihr bei identischer Tätigkeit ein niedrigeres Grundgehalt gezahlt hat, als dem männlichen Kollegen. Der Umstand des geringeren Entgelts sei ein hinreichendes Indiz für die Benachteiligung gemäß § 22 des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Dem beklagten Arbeitgeber sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Er habe das Gericht nicht davon überzeugen können, dass besondere Gründe die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Das Argument, der männliche Bewerber habe besser verhandelt, war nicht ausschlaggebend.
Das Urteil mag man kritisieren. Aber es zeigt: Das Bundesarbeitsgericht nimmt vermeintliche Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) außerordentlich ernst. Dies gilt insbesondere für die unmittelbare und mittelbare Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts gemäß § 3 Entgelttransparenzgesetz. Die "Eingangsschwelle" der Indizwirkung gemäß § 22 AGG ist relativ niedrig. Hingegen sind die Anforderungen an die beklagte Arbeitgeberseite, die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, sehr hoch.
Folgen für die Praxis: Beachten Sie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und die Vorgaben des Entgelttransparenzgesetzes. Dies gilt insbesondere bei der individualrechtlichen Vergütung von Beschäftigten. Sollten ungleiche Entgelte vereinbart werden, bedürfen diese Unterschiedlichkeiten dringend einer gerichtsfesten Begründung.
Sollten Sie Fragen im Einzelfall haben, wenden Sie sich an Ihren Verband.