Arbeitsrecht
März 2023 Schutz der Vertraulichkeit sticht Aspekt der Ehrverletzung
veröffentlicht am 01.03.2023
Ist ein Arbeitgeber berechtigt, wegen ihm zur Kenntnis gelangten ehrverletzenden Äußerungen in einem WhatsApp-Chat ein Arbeitsverhältnis zu kündigen? Ist er überhaupt berechtigt, den Chatverlauf in ein Verfahren einzubringen, wenn er davon über jemanden Kenntnis erlangt hat, der an dem WhatsApp-Chat nicht beteiligt war?
Moderne Kommunikationsmittel führen dazu, dass Äußerungen verschriftlicht werden und damit in der Welt bleiben, die früher nur hinter vorgehaltener Hand getätigt wurden. Der in drei vom Landesarbeitsgericht Niedersachsen im Dezember 2022 entschiedenen Verfahren bekannt gewordene Chatverlauf in einer Chat-Gruppe mit sieben Beteiligten enthält zahlreiche solche beleidigenden, rassistischen, teilweise auch menschenverachtenden und sexistischen Äußerungen sowie Aufrufe zur Gewalt. Dementsprechend stellt das Gericht in seinen Urteilen (Az. 15 Sa 284, 285 und 286/22) auch ohne Weiteres fest, dass diese Äußerungen grundsätzlich geeignet seien, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen.
Trotzdem obsiegten die Kläger in den Kündigungsschutzverfahren. Die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig. Es wurde jeweils Revision eingelegt, so dass sich das Bundesarbeitsgericht damit noch einmal befassen wird.
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen vermag zunächst für den Inhalt des Chat-Protokolls kein Sachvortragsverwertungs- oder Beweisverwertungsverbot erkennen. Der Mitarbeiter, der möglicherweise durch Täuschung an den Chatverlauf gekommen ist und ihn an die Beklagte weitergegeben hat, hat nicht im Auftrag der Beklagten gehandelt. Die Beklagte trägt deshalb keine Verantwortung dafür, dass der Mitarbeiter möglicherweise rechtswidrig an die Nachrichten gelangt ist. Im Gegenzug musste dem Kläger bei seiner Beteiligung an dem Nachrichtenaustausch klar gewesen sein, dass der Inhalt gespeichert und auch nach längerer Zeit noch abrufbar ist. Die Gefahr, dass infolgedessen ein Dritter Zugriff auf die gespeicherten Nachrichten erlangt, liegt nach Auffassung des LAG Niedersachsen im Risikobereich des Klägers.
Allerdings rechtfertigen die Äußerungen trotz ihres Inhalts die Kündigung nicht, weil sie Bestandteil einer vertraulichen Kommunikation zwischen den Teilnehmern der Chat-Gruppe sind und als solche verfassungsrechtlichen Schutz genießen, der dem Schutz der Ehre der durch die Äußerungen betroffenen Personen vorgeht.
Im Einzelnen hebt das LAG dabei noch einmal folgende Aspekte hervor:
Es ist zwar richtig, dass mit einer Kommunikation über WhatsApp ein erhöhtes Risiko gegenüber einer mündlichen Kommunikation dadurch verbunden ist, dass die Kommunikation dokumentiert wird und über einen längeren Zeitraum reproduzierbar bleibt. Der Inhalt einer solchen Kommunikation über WhatsApp lässt sich also auch später vollständig nachvollziehen und belegen. Das schränkt aber nach Auffassung des LAG Niedersachsen die Vertraulichkeit der Kommunikation nicht ein.
Zum Persönlichkeitsschutz gehört unter den Bedingungen eines besonderen Vertrauensverhältnisses die Möglichkeit des Einzelnen, seine Emotionen frei auszudrücken, geheime Wünsche oder Ängste zu offenbaren oder das eigene Urteil über Verhältnisse und Personen freimütig kundzugeben. Es gibt deshalb einen Bereich, in dem derartige Äußerungen als Ausdruck der Persönlichkeit mehr Schutz genießen als die Ehre der durch die Äußerung Betroffenen. Das schließt auch schriftliche Äußerungen ein.
Ein Austausch in einer Chat-Gruppe per WhatsApp kann – technisch gesehen – auf Vertraulichkeit ausgerichtet sein. Die Mitglieder tauschen untereinander Ende-zu-Ende verschlüsselte Nachrichten aus, die für Außenstehende nicht einsehbar sind. Zwar können in einer WhatsApp-Chat-Gruppe Mitglieder hinzugefügt werden. Dann kann aber auch jeder der bisherigen Chat-Mitglieder dies erkennen und seine Kommunikation darauf einstellen. Persönlich gesehen hat zwischen den Mitgliedern der Chat-Gruppe ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden. Die Mitglieder waren langjährig befreundet bzw. teilweise sogar miteinander verwandt.
Auch bei einer Gruppe von sieben Personen schließt die Größe der Chat-Gruppe die Annahme der Vertraulichkeit nicht aus. Eine solche Gruppe ist von den Mitgliedern noch leicht zu überschauen.
Auch wenn sich die Mitglieder der Chat-Gruppe über Arbeitskollegen und Geschehnisse am (gemeinsamen) Arbeitsplatz ausgetauscht haben, begründet dies keinen dienstlichen Bezug, weil die Chat-Gruppe von ihren Mitgliedern als private Gruppe gebildet worden ist.
Das LAG schließt seine Ausführungen dann damit ab, dass kein bestimmtes Mitglied der Chat-Gruppe versucht hat, die anderen Gruppenmitglieder zu arbeitsvertragswidrigem oder strafbarem Handeln zu bewegen. Insofern kann nur angenommen werden, dass das LAG unter Umständen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, wenn es Derartiges hätte feststellen können.
Die in den Urteilen in Ausschnitten veröffentlichten Äußerungen sind für die Beklagte und die weiteren konkret betroffenen Mitarbeiter nur schwer zu ertragen. Ob unter diesen Voraussetzungen eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses funktionieren kann, erscheint durchaus zweifelhaft. Trotzdem muss eine vertrauliche Kommunikation möglich bleiben.
Dieser Aspekt darf bei der Prüfung von Reaktionen auf die Kenntniserlangung von derartigen Chatverläufen nicht vergessen werden.
- Autor: Rechtsanwalt Christoph Schmedding
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