Arbeitsrecht
Februar 2023 Sonderkündigungsschutz und Betriebsratsanhörung
veröffentlicht am 01.02.2023
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in seinem Urteil vom 24. November 2022 - 2 AZR 287/22 - wiederum mit der Frage beschäftigt, welchen Anforderungen die Unterrichtung des Betriebsrats im Falle eines bestehenden Sonderkündigungsschutzes vor einer beabsichtigten Kündigung unterworfen ist.
Bekanntlich ist der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Hierbei hat der Arbeitgeber diesem die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Dass dieses Konsultationsverfahren von entscheidender Bedeutung ist, wird bereits mit Blick auf die Rechtsfolge bei einer fehlerhaften oder nicht vollständigen Anhörung deutlich, da eine solche Kündigung unwirksam ist. Regelmäßig stellen sich daher in der Beratungspraxis Fragen, welche konkreten Sachverhaltsinformationen im Rahmen der Betriebsratsanhörung aufgegriffen werden müssen.
Im hiesigen Fall stritten die Parteien über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung. Nachdem der Kläger im Juni 2017 zum stellvertretenden Strahlenschutzbeauftragten für den medizinischen Bereich der Nuklearmedizin bestellt wurde, hat die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 09. März 2018 außerordentlich fristlos gekündigt. Der Kläger monierte im Wesentlichen, dass die vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung anzuhörende Interessenvertretung keineswegs über seine Stellung als stellvertretender Strahlenschutzbeauftragter unterrichtet worden sei, so dass die Kündigung keinen Bestand habe.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben dem Kündigungsschutzantrag des Klägers stattgegeben. Das Berufungsgericht begründete seine Entscheidung im Hinblick auf die Unwirksamkeit der außerordentlichen fristlosen Kündigung dahingehend, dass der Interessenvertretung nicht mitgeteilt worden sei, dass der Kläger als stellvertretender Strahlenschutzbeauftragte benannt und deshalb nach § 70 Abs. 6 Strahlenschutzgesetz eine ordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen sei.
Anders beurteilte dies anschließend das Bundesarbeitsgericht. Zunächst führte dieses aus, dass der Kläger im Kündigungszeitpunkt nicht von dem durch § 70 Abs. 6 Strahlenschutzgesetz vermittelten Schutz vor einer ordentlichen Kündigung erfasst gewesen sei. Der Kläger sei jedenfalls zu keinem Zeitpunkt aufgrund eines Vertretungsfalls in das Amt des Strahlenschutzbeauftragten eingerückt. Weiter begründete das Bundesarbeitsgericht seine Entscheidung damit, dass dem Kläger im Kündigungszeitpunkt (März 2018) auch kein Sonderkündigungsschutz nach der vorgenannten Regelung zustünde, da diese Norm erst zum 31. Dezember 2018 in Kraft getreten sei.
Im weiteren Verlauf verwies das Bundesarbeitsgericht darauf, dass der Arbeitgeber, welcher außerordentlich fristlos kündigen möchte, der Interessenvertretung nicht mitteilen müsse, dass dem Kläger ein Sonderkündigungsschutz zukomme, der zwar eine ordentliche Kündigung ausschließt, die Möglichkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist aber ausdrücklich unberührt lässt.
Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zeigt abermals, dass die Anhörung des Betriebsrats bzw. Personalrats vor Ausspruch einer beabsichtigten Kündigung regelmäßig in der Praxis Streitpotenzial birgt. Sinn und Zweck des Anhörungsverfahrens ist es im Wesentlichen, dass sich der Betriebsrat/der Personalrat über die Person des Arbeitnehmers und über die Kündigungsgründe ein eigenes Bild machen kann. Folglich sind auch nur solche Angaben zu tätigen, dass der Betriebsrat/der Personalrat in die Lage versetzt wird, eine Stellungnahme zur Kündigung abzugeben. Keineswegs ist ein Mitteilungsumfang erforderlich, der es dem Betriebsrat/dem Personalrat ermöglicht, die objektive Überprüfung der Wirksamkeit der beabsichtigten Kündigung vorzunehmen. Die vorliegende Entscheidung zeigt wiederholt auf, dass insofern ein Sonderkündigungsschutz nicht mitzuteilen ist, insbesondere, wenn dieser sich auf eine ordentliche Kündigung erstreckt und im vorliegenden Fall eine außerordentlich fristlose Kündigung beabsichtigt ist. Macht der Arbeitgeber allerdings gegenüber der Interessenvertretung freiwillig weitere Angaben, müssen diese wahrheitsgemäß erfolgen.
Für sämtliche Fragen in diesem Kontext stehen Ihnen selbstverständlich gerne die Juristinnen und Juristen des Verbandes zur Verfügung.
- Autor: Rechtsanwalt Dr. Horst Röben
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