Dezember 2022
(Kein) Risiko einer AGG-Entschädigungsforderung bei Kündigung Schwerbehinderter ohne Zustimmung des Integrationsamtes?
veröffentlicht am 01.12.2022
Die Kündigung Schwerbehinderter bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes nach § 168 SGB IX, neben der erforderlichen vorherigen Anhörung etwaig vorhandener Arbeitnehmervertretungen wie Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung. So weit, so klar. Unterbleibt das Einholen der im betreffenden Einzelfall erforderlichen Zustimmung des Integrationsamts, so folgt hieraus grundsätzlich bei rechtzeitiger Klage die Unwirksamkeit der Kündigung. Doch droht möglicherweise sogar noch ein "böses Nachspiel" aufgrund der unterlassenen Beteiligung des Integrationsamts in dem Sinne, dass der betroffene schwerbehinderte Mitarbeiter zugleich noch Entschädigungsforderungen nach dem AGG erheben könnte?
Eine solche Entwicklung ist angesichts der aktuellen Rechtsprechungsentwicklung in diesem Themenbereich nicht fernliegend, weshalb auf das Urteil des BAG vom 02.06.2022 zum Az. 8 AZR 191/21 hingewiesen werden soll. Im dortigen Verfahren hatte der schwerbehinderte Kläger, dem gekündigt worden war ohne vorherige Zustimmung des Integrationsamts, gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber Klage erhoben auf Zahlung einer Entschädigung nach dem AGG. Der Kläger berief sich auf eine Benachteiligung nach § 15 Abs. 2 AGG, wegen derer sein ehemaliger Arbeitgeber ihm eine Entschädigung zu zahlen habe, die sich daraus ergebe, dass der Arbeitgeber die aus § 168 SGB IX folgende Pflicht, das Integrationsamt vor der Kündigung und Zustimmung zu ersuchen, nicht erfüllt habe. Zwar habe zum Kündigungszeitpunkt noch nicht einmal ein Antrag auf Anerkennung als Schwerbehinderter vorgelegen, dem Arbeitgeber sei jedoch bekannt gewesen, dass er einen Schlaganfall mit halbseitigen Lähmung erlitten hatte, sodass offenkundig gewesen sei, dass aufgrund einer Schwerbehinderung das Integrationsamt zu beteiligen gewesen sei.
Das BAG entschied hier ebenso wie die Vorinstanzen im Ergebnis zugunsten des Arbeitgebers, da der Kläger nicht dargelegt habe, dass die Benachteiligung (Kündigung) wegen seiner Schwerbehinderung erfolgte. Zwar könne die Nichtbeachtung der Schutzvorschrift § 168 SGB IX im Einzelfall die (widerlegbare) Vermutung begründen, dass die Schwerbehinderung mitursächlich für die Benachteiligung war. Der Kläger hatte allein mit Verweis auf den Schlaganfall jedoch keine Umstände vorgetragen, aufgrund derer eine Schwerbehinderung offenkundig gewesen wäre.
Auch wenn die Entscheidung hier im Ergebnis zugunsten des Arbeitgebers ausgefallen ist, ist insbesondere im Umgang mit Schutzvorschriften, die vom AGG geschützten Personengruppen dienen, äußerste Vorsicht walten zu lassen. Denn sonst könnte die Nichtbeachtung einschlägiger Schutzvorschriften (beispielsweise auch der Verpflichtung zu prüfen, ob ein Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Mitarbeiter besetzt werden kann) im ungünstigsten Falle als Indiz für eine tatsächlich nicht beabsichtigte Benachteiligung gesehen werden.
Gerade in derartigen sensiblen Konstellationen ist eine fundierte arbeitsrechtliche Beratung deshalb wichtig, für die die Juristen das Arbeitgeberverbandes Oldenburg dessen Mitgliedsunternehmen jederzeit gern zur Verfügung stehen. Rufen Sie uns daher im Bedarfsfall gerne an.
Mehr zu dem Thema erfahren Sie in unserem AGV-Podcast Nr. 24 "(Kein) Risiko einer AGG-Entschädigungsforderung bei Kündigung Schwerbehinderter ohne Zustimmung des Integrationsamtes?" im Mitgliederportal.
Autor:
Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin (BMWA) Verena Albrecht