Arbeitsrecht
August 2022 Außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung einer schwangeren Mitarbeiterin - Sonderkündigungsschutz, Kündigungserklärungsfrist
veröffentlicht am 01.08.2022
Neben dem allgemeinen Kündigungsschutz für alle Arbeitnehmer gibt es gesetzlich verankert eine Vielzahl von Regelungen zum besonderen Kündigungsschutz. Einen solchen besonderen Kündigungsschutz gibt es für schwangere Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmerinnen während des Mutterschutzes und Arbeitnehmer in der Elternzeit. Die Kündigung dieser Mitarbeiter ist nur mit der Zustimmung der entsprechenden staatlichen Stellen, in aller Regel das Gewerbeaufsichtsamt, möglich.
Will der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung der geltenden Kündigungsfrist außerordentlich, d.h. fristlos kündigen, kann er dies mit Erfolg nur, wenn er die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB einhält. Diese Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, an dem der Arbeitgeber über die zur Kündigung berechtigenden Tatsachen Kenntnis erhält.
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern musste sich in seiner Entscheidung vom 15. März 2022 (5 Sa 122/21) unter anderem mit diesen beiden Aspekten beschäftigen.
Im streitgegenständlichen Fall stritten die Parteien um die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten, außerordentlichen Kündigung.
Die schwangere Arbeitnehmerin nahm am 11. Mai 2019 im Rahmen ihrer Tätigkeit, der Vermietung, Vermittlung und Betreuung von Ferienwohnungen, eine Barzahlung i.H.v. 20 € für eine Handtuchbuchung entgegen. Hierbei legte sie den Betrag jedoch weder in die Kasse noch verbuchte sie diesen Betrag ordnungsgemäß. Am 14. Mai 2019 entfernte die Arbeitnehmerin die ursprünglich vorgesehenen Handtuchsets aus der Buchung.
Am 18. Mai 2019 erhielt die Arbeitnehmerin von einem Feriengast Kurtaxe i.H.v. 56 € und erstellte hierfür einen Einzahlungsbeleg über die Funktion "Druckvorschau". In der elektronischen Übergabe setze sie den festgesetzten Betrag i.H.v. 56 € auf "befreit" (0,00 €) herunter.
Der Arbeitgeber erfuhr am 21. Mai 2019 von der Barzahlung von 20 €, führte am nächsten Tag ein Personalgespräch mit der Arbeitnehmerin durch und erteilte dieser eine Abmahnung. Die Arbeitnehmerin hatte im Gespräch Fehlverhalten eingeräumt und versichert, keine weiteren derartigen Verfehlungen begangen zu haben.
Am 22. Mai 2019, nach dem Personalgespräch, zahlte die Arbeitnehmerin 56 € auf das Konto des Arbeitgebers ein und änderte die Buchung hinsichtlich der Kurtaxe im Übernahmeprotokoll wieder auf 56,00 €.
Der Arbeitgeber beantragte bei der zuständigen Behörde mit Schreiben vom 27. Mai 2019, eingegangen am 31. Mai 2019, die beabsichtigte außerordentliche Kündigung der Klägerin für zulässig zu erklären. Die Behörde versagte ihre Zustimmung zur Kündigung, wogegen der Arbeitgeber fristgerecht Widerspruch einlegte. Gegen die Zurückweisung des Widerspruchs erhob der Arbeitgeber Klage beim Verwaltungsgericht. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts erging bis zum Ende der Elternzeit der Arbeitnehmerin am 03. September 2020 nicht.
Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 04. September 2020 außerordentlich.
Gegen diese Kündigung setzt sich die Arbeitnehmerin gerichtlich zur Wehr.
Das Gericht entschied gegen die Arbeitnehmerin, dass die ausgesprochene außerordentliche Kündigung wirksam ist.
Das vorsätzliche Verschaffen eines der Arbeitnehmerin nicht zustehenden Vermögensvorteils auf Kosten des Arbeitgebers rechtfertigt regelmäßig auch ohne Abmahnung eine außerordentliche Kündigung. Hierbei ist insbesondere der mit der Pflichtverletzung einhergehende Vertrauensbruch maßgeblich.
Bei der Entgegennahme der 56 € und der Übergabe der Quittung über die Funktion "Druckvorschau" ging das Gericht von einem vorsätzlichen, planmäßigen Vorgehen seitens der Arbeitnehmerin aus. Der Vertrauensverlust ist in diesem Fall nach Ansicht des Gerichts zusätzlich auch deshalb besonders hoch, da die Arbeitnehmerin im Personalgespräch vom 22. Mai 2019 versichert hatte, dass weitere derartige Vorfälle nicht vorlägen, und sie durch die spätere Einzahlung des Betrags und die Korrektur des elektronischen Übergabeprotokolls den Vorfall zu verschleiern versuchte. Das Verhalten der Arbeitnehmerin rechtfertigt daher in die ausgesprochene außerordentliche Kündigung.
Die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB wurde seitens des Arbeitgebers nach Ansicht des Gerichts ebenfalls gewahrt. Hierfür war ausreichend, dass die notwendige Zustimmung der zuständigen Behörde innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der kündigungsrelevanten Vorfälle beantragt wurde und, da nicht rechtskräftig über deren Zustimmung entschieden wurde, nach Wegfall des besonderen Kündigungsschutzes, d.h. dem Ende der Elternzeit, unverzüglich die Kündigung ausgesprochen wurde.
Die Entscheidung des Gerichts verdeutlicht, wie die Kündigungserklärungsfrist des §§ 626 BGB bei Vorliegen eines Sonderkündigungsschutzes gewahrt werden kann:
Innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntwerden der für die Kündigung relevanten Vorfälle muss die Zustimmung bei der zuständigen Behörde beantragt wird und unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nach deren Entscheidung bzw. dem Wegfall des Sonderkündigungsschutzes (Ende der Elternzeit bzw. vier Monate nach der Entbindung, wenn keine Elternzeit beantragt wurde) die Kündigung erklärt werden.
Auch wenn bei derartigen Sachverhalten die Behörde die Zustimmung häufig versagt, empfiehlt es sich, die Zustimmung dennoch zu beantragen und den Rechtsweg gegen die Verweigerung der Zustimmung zu beschreiten. Denn so verbleibt die Möglichkeit, nach Wegfall des Sonderkündigungsschutzes außerordentlich kündigen zu können. Ohne die Beschreitung dieses Rechtsweges hätte der Arbeitgeber keine Chance dahingehend, dass eine zu diesem Zeitpunkt (nach dem Ende der Elternzeit bzw. vier Monate nach der Entbindung, wenn keine Elternzeit beantragt wurde) ausgesprochene außerordentliche Kündigung von im Gericht als wirksam anerkannt wird. Der Arbeitgeber müsste daher ordentlich kündigen und für den Zeitraum der Kündigungsfrist eine Vergütung zahlen.
Mehr zu dem Thema erfahren Sie in unserem AGV-Podcast Nr. 21 "Außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung einer schwangeren Mitarbeiterin - Sonderkündigungsschutz, Kündigungserklärungsfrist" im Mitgliederportal.