Arbeitsrecht
Januar 2022 Verpflichtung zur stufenweisen Wiedereingliederung bei schwerbehinderten Menschen?
veröffentlicht am 03.01.2022
Arbeitnehmer, die nach längerer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ihre Arbeit wieder aufnehmen wollen, möchten dies häufig im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung vornehmen. Sie wollen langsam wieder an die Belastungen ihrer Arbeitstätigkeit herangeführt werden.
Diese stufenweise Wiedereingliederung zeichnet sich durch ein entsprechend der ärztlichen Empfehlung ansteigendes Maß der täglichen Arbeitszeit über einen bestimmten Zeitraum aus. In rechtlicher Hinsicht ist der Arbeitnehmer, der noch nicht seine volle vertraglich vereinbarte Arbeitszeit erbringen kann, weiterhin im Status der Arbeitsunfähigkeit. Dies führt dazu, dass der Arbeitgeber im Zeitraum der Wiedereingliederung nicht zur Zahlung der Vergütung verpflichtet ist. Der Arbeitnehmer erhält in der Regel in diesem Zeitraum von der Krankenkasse Krankengeld.
Aufgrund der während der Wiedereingliederung noch bestehenden Unfähigkeit des Arbeitnehmers, seine volle Arbeitsleistung zu erbringen, muss der Arbeitgeber einer stufenweisen Wiedereingliederung grundsätzlich nicht zustimmen. Er kann die vollständige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers abwarten.
Ein derartiges Abwarten hat für den Arbeitgeber möglicherweise für den Ausspruch einer späteren krankheitsbedingten Kündigung Auswirkungen, im Übrigen aber keine finanziellen Auswirkungen.
Bei schwerbehinderten Menschen oder diesen gleichgestellten Menschen ist dies aufgrund der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 16. Mai 2019, 8 AZR 530 / 17) anders.
Hintergrund dieser Rechtsprechung ist folgender Sachverhalt:
Nach Ansicht des schwerbehinderten Arbeitnehmers hatte der Arbeitgeber die stufenweise Wiedereingliederung auf einen ersten ärztlichen Wiedereingliederungsplan zu Unrecht abgelehnt.
Erst im Anschluss an eine später mit Zustimmung des Arbeitgebers tatsächlich durchgeführte stufenweise Wiedereingliederung konnte die Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers vollständig wiederhergestellt werden. Die Zustimmung erfolgte aufgrund eines weiteren, später erstellten ärztlichen Wiedereingliederungsplanes.
Für den Zeitraum zwischen dem vorgesehenen Ende einer Wiedereingliederung entsprechend des zeitlich ersten ärztlichen Wiedereingliederungsplanes und dem Ende der später tatsächlich durchgeführten stufenweisen Wiedereingliederung begehrte der Arbeitnehmer Schadenersatz in Höhe der entgangenen Arbeitsvergütung.
Grundsätzlich soll der Arbeitgeber laut Bundesarbeitsgericht aufgrund der besonderen Rechte der schwerbehinderten Menschen gemäß § 164 SGB IX (ehemals § 81 SGB IX) einer stufenweisen Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Menschen zustimmen. Hintergrund dieses Gebotes ist der vom Gesetzgeber gewollte besondere Schutz dieser Personen. Für andere Arbeitnehmer gilt dieses Gebot nicht.
Verstöße gegen diese grundsätzliche Verpflichtung können laut Gericht zur Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers führen.
Die Voraussetzung dafür, dass der Arbeitgeber einer entsprechenden Wiedereingliederung zustimmen muss, ist ein ärztlicher Wiedereingliederungsplan. In diesem muss der Arzt dem Arbeitgeber eine auf die Erkrankung und die Behinderung des Arbeitnehmers und seine im Arbeitsverhältnis zu erbringende Tätigkeit abgestellte Empfehlung über die Art und Weise der Beschäftigung und deren Umfang erteilen. Zusätzlich muss eine ärztliche Prognose über den Zeitpunkt der vollständigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit abgeben werden.
Diese Voraussetzungen waren durch den vom behandelnden Facharzt für Neurologie und Psychiatrie erstellten Wiedereingliederungsplan in dem vor dem Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall gegeben.
Die Beurteilung der Betriebsärztin, die wenige Wochen vor dem vorgesehenen Beginn der Wiedereingliederung den Arbeitnehmer untersuchte, enthielt hinsichtlich einer Wiedereingliederung Einschränkungen. Die Betriebsärztin empfahl, dass der Arbeitnehmer in der Wiedereingliederung keine Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an Umstellungsfähigkeit und Flexibilität, Anforderungen an die Teamfähigkeit, hohem Zeitdruck, Kontakt zum Publikum und der Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge ausführen sollte.
Der vor der Arbeitsunfähigkeit als technischer Angestellter (Bauleiter) beschäftigte Arbeitnehmer beantragte unter Vorlage des Wiedereingliederungsplanes des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie die stufenweise Wiedereingliederung. Weder im Antragsschreiben noch im ärztlichen Wiedereingliederungsplan war eine abweichende Tätigkeit von der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als technischer Angestellter (Bauleiter) enthalten.
Der Arbeitgeber lehnte diese Wiedereingliederung mit Verweis auf die ständigen Anforderungen einer Tätigkeit als Bauleiter (Teamfähigkeit, Zeitdruck, Publikumskontakt, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge) und die betriebsärztliche Beurteilung ab.
Nach einem, zeitlich deutlich später erstellten, weiteren ärztlichen Wiedereingliederungsplan konnte eine stufenweise Wiedereingliederung mit einer 100-prozentigen Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit erfolgreich durchgeführt werden.
In dieser Konstellation ist laut Ansicht des Gerichtes grundsätzlich ein Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber gegeben, wenn die frühere Wiedereingliederung zu Unrecht abgelehnt worden ist und zur Wiederherstellung der 100-prozentigen Arbeitsfähigkeit des Arbeitnehmers geführt hätte. Dieser beläuft sich auf die Differenz der Vergütung, die der Arbeitnehmer bei vorzeitiger Genesung erwirtschaftet hätte.
Der Arbeitgeber darf nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts jedoch dann eine stufenweise Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Menschen ablehnen, soweit Umstände vorliegen, aufgrund derer die Befürchtung begründet ist, dass dem Arbeitnehmer aus der stufenweisen Wiedereingliederung nachteilige gesundheitliche Folgen erwachsen.
Derartige Umstände waren nach Ansicht des Gerichts in diesem Fall aufgrund der Beurteilung der Betriebsärztin gegeben, sodass das Gericht den Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers zurückgewiesen hat.
Das Gericht ergänzte, dass den Arbeitgeber im Falle einer Ablehnung auch gegebenenfalls auch die Pflicht treffen kann, den Arbeitnehmer auf mögliche Maßnahmen zur Beseitigung der Bedenken gegen den Wiedereingliederungsplan hinzuweisen. So könnte unter Umständen bei sich inhaltlich widersprechenden ärztlichen Bewertungen ein vermittelndes Fachgespräch zwischen den beteiligten Medizinern vorgeschlagen werden.
Wir empfehlen, nicht nur zur Vorbereitung einer etwaigen, späteren krankheitsbedingten Kündigung, sondern auch zur Vermeidung von möglichen Schadensersatzansprüchen der stufenweisen Wiedereingliederung schwerbehinderter Menschen und diesen gleichgestellten Menschen in aller Regel zuzustimmen.
Sollten gegen die tatsächliche Durchführung der Wiedereingliederung konkrete Bedenken im Hinblick auf die gesundheitlichen Auswirkungen bestehen, müssen Maßnahmen, die diese Bedenken beseitigen könnten, in Betracht gezogen werden. Zusätzlich muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf entsprechende Maßnahmen hinweisen.
Für den konkreten Fall stehen die Juristen vom Team des Arbeitgeberverbandes Oldenburg e.V. Ihnen gerne beratend zur Seite.
Mehr zu dem Thema erfahren Sie in unserem AGV-Podcast Nr. 15 "Verpflichtung zur stufenweisen Wiedereingliederung bei schwerbehinderten Menschen?" im Mitgliederportal.