November 2019
Betriebsvereinbarungsoffenheit - Änderung und Ablösung von Arbeitsbedingungen
veröffentlicht am 01.11.2019
Kaum ein Thema ist beim Bundesarbeitsgericht in den letzten Monaten so sehr diskutiert worden wie das Thema der „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ von arbeitsvertraglichen Regelungen. Dahinter verbirgt sich die Frage, ob vertraglich geregelte Ansprüche der Mitarbeiter durch Betriebsvereinbarung, also schriftliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat im Sinne des § 77 BetrVG, abgelöst und abgeändert werden können. Während das Bundesarbeitsgericht in seiner früheren Rechtsprechung davon ausging, dass jedenfalls dann, wenn die Materie im Arbeitsvertrag nicht geregelt sei, eine erstmalige schriftliche Regelung durch Betriebsvereinbarung, ggf. unter Wahrung eines „kollektiven Günstigkeitsvergleichs“, stattfinden könne, stellt sich für den Rechtsanwender derzeit das Problem, dass sich sogar die einzelnen Senate des Bundesarbeitsgerichts in der Frage, ob man auch nachteilige Änderungen für die Arbeitnehmer durch Betriebsvereinbarungen umsetzen kann, nicht einig sind.
Wie also ist dieses Problem für die Praxis zu lösen?
Der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem Urteil vom 05.03.2015 (1 AZR 417/12) zur Regelaltersgrenze formuliert, dass eine Betriebsvereinbarungsoffenheit (also Abänderbarkeit arbeitsvertraglicher Bedingungen durch die Betriebsvereinbarung) regelmäßig anzunehmen sei, wenn der Vertragsgegenstand in AGB geregelt sei und einen kollektiven Bezug habe. Dann könne nämlich der Arbeitnehmer erkennen, dass die vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen nicht individuell, sondern für eine Gruppe von Arbeitnehmern gelten sollten und einer Änderung durch Betriebsvereinbarung deshalb zugänglich sein sollten. Etwas anderes gelte nur, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbarten, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollten. Diese Rechtsprechung hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 24.10.2017 (1 AZR 846/15) zum Jubiläumsgeld, wonach eine Gesamtzusage wirksam durch Betriebsvereinbarung abgelöst worden war mit der Folge, dass der Arbeitnehmerin kein Anspruch auf die ursprünglich zugesagte Premiere hatte, weiterentwickelt. Als der Kläger in einem vom Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts am 11.04.2018 (4 AZR 119/17) zu entscheidenden Fall ebenfalls Vergütungsbestandteile forderte und sich die Frage stellte, ob diese durch Betriebsvereinbarung abgelöst worden seien, hielt der Vierte Senat indes dagegen und stellte klar, dass seines Erachtens eine konkludente Betriebsvereinbarungsoffenheit gegen das Transparenzgebot verstoße.
Angesichts dieser unterschiedlichen Ergebnisse dürfte sich künftig oftmals eine ausdrückliche Arbeitsvertragsgestaltung anbieten, wonach allgemeine Arbeitsbedingungen durch kollektive Regelungen, insbesondere Betriebsvereinbarungen, abgeändert werden können. Zur genauen Ausgestaltung im Einzelfall empfehlen wir den Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes Oldenburg die rechtliche Beratung durch unsere Verbandsjuristen im Einzelfall, um hier für die Zukunft bestmöglich aufgestellt zu sein.
Autor:
Rechtsanwältin und Wirtschaftsmediatorin (BMWA) Verena Albrecht