Arbeitsrecht
September 2019 Aufhebungsvertrag – "Widerruf" und "Gebot fairen Verhandelns" – BAG, Urteil vom 07.02.2019 – 6 AZR 75/18
veröffentlicht am 01.09.2019
Mit einem Aufhebungsvertrag kann das Arbeitsverhältnis einvernehmlich, zu jedem beliebigen Zeitpunkt und unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragspartner beendet werden. In der Praxis stellt er ein wichtiges personalwirtschaftliches Instrument zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen dar.
Durch das Urteil des BAG vom 07.02.2019 kommt für den Arbeitgeber ein weiterer rechtlicher Aspekt hinzu, der bei zukünftigen Verhandlungen zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages nicht unberücksichtigt bleiben darf.
Das BAG beschäftigte sich u.a. mit der Frage, ob ein Arbeitnehmer die Einwilligung zum Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages nach § 355 BGB widerrufen und ob der Gefahr einer "möglichen Überrumpelung" des Arbeitnehmers bei Vertragsverhandlungen, z.B. weil diese zu ungewöhnlichen Zeiten oder an ungewöhnlichen Orten stattfinden, mit dem Gebot fairen Verhandelns begegnet werden könne.
Die Klägerin war seit dem 01.07.2014 bei der Beklagten als Reinigungshilfe beschäftigt. Am 15.02.2016 suchte der Lebenspartner der Beklagten, welcher tatsächlich deren Geschäfte führte, die Klägerin gegen 17:00 Uhr in ihrer Wohnung auf und legte ihr einen Aufhebungsvertrag vor. Die Klägerin unterschrieb diesen Vertrag. Danach sollte das Arbeitsverhältnis einvernehmlich am gleichen Tag ohne Zahlung einer Abfindung beendet werden und sie die Arbeitspapiere sowie ein wohlwollendes qualifiziertes Zeugnis bis spätestens 15.03.2016 erhalten. Im Übrigen sollten mit Erfüllung des Vertrages keine Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gegen die andere Partei mehr bestehen. Davon unberührt blieben "zu viel bezahlte Arbeitsstunden". Anlass und Ablauf der Vertragsverhandlungen standen im Streit. Nach Darstellung der Klägerin war sie am Tag des Vertragsschlusses erkrankt und der Lebenspartner der Beklagten habe gesagt, dass "er ihre Faulheit nicht unterstützen werde" und ihr den Vertrag hingehalten. Sie habe diesen dann unter dem Einfluss von Schmerzmitteln "im Tran" unterschrieben und erst hinterher gemerkt, was sie da gemacht habe. Die Klägerin hat den Aufhebungsvertrag wegen Irrtums, arglistiger Täuschung und widerrechtlicher Drohung angefochten und hilfsweise ihre Zustimmung zum Vertragsschluss widerrufen. Mit ihrer Klage wendete sich die Klägerin gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses durch den Aufhebungsvertrag. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten die Klage abgewiesen. Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Urteil auf die Revision der Klägerin aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Das BAG kam zunächst zu dem Ergebnis, dass eine Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages gem. § 105 Abs. 2 Alt. 2 BGB nicht gegeben ist. Zwar ist auch eine Willenserklärung, die im Zustand der Bewusstlosigkeit oder vorübergehender Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird, nichtig. Will sich ein Arbeitnehmer aber darauf berufen, so bedarf es eines ausreichenden Sachvortrags. Allein ein Hinweis auf Krankheit, Einnahme von Schmerzmitteln und Abgabe der Willenserklärung "im Tran" genügt jedoch nicht.
Das BAG stellte weiter fest, dass kein Anfechtungsgrund i.S.d. §§ 119 ff. BGB gegeben ist. Dem Vorbringen der Klägerin, ihr sei mit Kündigung gedroht worden, fehlte die erforderliche Substanz. Der Sachvortrag war zu pauschal.
Das BAG machte deutlich, dass dem Arbeitnehmer nach Abschluss des Aufhebungsvertrags kein Widerrufsrecht gem. § 355 i.V.m. § 312g Abs. 1, § 312b BGB zusteht. Der Anwendungsbereich für diese Vorschriften ist gemäß § 312 Abs. 1 BGB nicht eröffnet. Ein Aufhebungsvertrag kann darum vom Arbeitnehmer auch dann nicht widerrufen werden, wenn er in der Wohnung des Arbeitnehmers geschlossen worden ist. Arbeitsrechtliche Beendigungsvereinbarungen sind nicht als Haustürgeschäft anzusehen. Dies bedeutet, dass Aufhebungsverträge nach wie vor auch außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers geschlossen werden können.
Zukünftig muss der Arbeitgeber aber das Gebot fairen Verhandelns im Rahmen des Abschlusses eines Aufhebungsvertrages zwingend beachten, wenn er sich nicht der Möglichkeit einer schadensersatzrechtlichen Rückabwicklung ausgesetzt sehen will und der Aufhebungsvertrag im Ergebnis unwirksam wird.
Das BAG sieht in dem Gebot fairen Verhandelns eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen begründete Nebenpflicht i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr.1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB. Im Rahmen der Verhandlung bedarf es einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite. Im Übrigen schützt das Gebot fairen Verhandelns unterhalb der Schwelle der von §§ 105, 119 ff. BGB erfassten Willensmängel die Entscheidungsfreiheit bei Vertragsverhandlungen.
Gegen § 241 Abs. 2 BGB kann eine Seite verstoßen, wenn sie eine Verhandlungssituation herbeiführt oder ausnutzt, die eine unfaire Behandlung des Vertragspartners darstellt. Das Gebot fairen Verhandelns wird - so das BAG - missachtet, wenn die Entscheidungsfreiheit in missbilligender Weise beeinflusst wird. Es geht dabei aber nicht um ein Erfordernis der Schaffung einer für den Vertragspartner besonders angenehmen Verhandlungssituation, sondern um das Gebot eines Mindestmaßes an Fairness im Vorfeld des Vertragsschlusses.
Wie weit das Gebot fairen Verhandelns reicht, wird vom BAG nicht exakt vorgegeben. Es kommt auf die Bewertung der konkreten Situation des jeweiligen Einzelfalls an. Das BAG nennt aber vier Fallgestaltungen, bei denen von unfairen Verhandlungssituationen ausgegangen werden könne, und zwar
- wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwert oder sogar unmöglich macht. Dies kann durch die Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken, geschehen.
- die Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche.
- die Ausnutzung unzureichender Sprachkenntnisse.
- die Nutzung eines Überraschungsmoments (Überrumpelung), wenn die Vertragsverhandlungen zu einer ungewöhnlichen Zeit und/oder an einem ungewöhnlichen Ort stattfinden.
Nach den Aussagen des BAG ist aber eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit noch nicht gegeben:
- bei Nichtgewährung einer Bedenkzeit,
- der Nichteinräumung eines Rücktritts- oder Widerrufsrecht oder
- bei der Nichtankündigung des Unterbreitens einer Aufhebungsvereinbarung.
Im Ergebnis bedeutet dies für den Arbeitgeber, dass Aufhebungsverträge nicht in der Wohnung des Arbeitnehmers abgeschlossen werden sollten. Vielmehr sollten Verhandlungen zu Aufhebungsverträgen an dem Ort stattfinden, wo typischerweise solche Vereinbarungen getroffen werden. Auch sollte der Arbeitnehmer nicht "überrumpelt" werden. Nach dem BAG wird es einem Arbeitgeber regelmäßig bei einer Kurzerkrankung des Arbeitnehmers zumutbar sein, dessen Genesung vor der Aufnahme von Beendigungsverhandlungen abzuwarten und ihn nicht unaufgefordert in der Wohnung mit einem Aufhebungsvertragsentwurf zu konfrontieren.
Die Beweislast für einen Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns und die Kausalität dieses Verstoßes für den Abschluss des Aufhebungsvertrags trägt derjenige, der sich auf eine Verletzung des § 311 Abs. 2 Nr.1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB beruft.
- Autor: Rechtsanwältin Anja Vollbrecht
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