Arbeitsrecht
Juni 2019 Vergütung von Hin- und Rückreise bei vorübergehender Entsendung ins Ausland
veröffentlicht am 01.06.2019
Im Rahmen von Dienstreisen stellt sich häufig die Frage, wie die entsprechenden Reisezeiten arbeitszeit- und vergütungsrechtlich zu behandeln sind. Hierzu hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) in einer Entscheidung vom 17.10.2018 (Az: 5 AZR 553/17) entschieden, dass Reisezeiten zwar grundsätzlich als Arbeitszeit einzuordnen sind. Allerdings kann durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für Reisezeiten getroffen werden.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt war der Kläger arbeitsvertraglich verpflichtet, auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland zu arbeiten. Für die Zeit vom 10.08. bis zum 30.10.2015 wurde der Kläger auf eine Baustelle nach Bengbu (China) entsandt. Auf Wunsch des Klägers buchte die beklagte Arbeitgeberin für die Hin- und Rückreise statt eines Direktflugs in der Economy-Class einen Flug in der Business-Class mit Zwischenstopp in Dubai. Die Differenz sollte der Kläger tragen. Nachdem der Kläger am 10.08.2015 noch gearbeitet hatte, flog er abends von Frankfurt/Main mit Zwischenstopp in Dubai nach Shanghai. Nach Arbeit auf der Baustelle trat er am Nachmittag des 29.10.2015 die Rückreise an. Für vier Reisetage zahlte die Beklagte dem Kläger die arbeitsvertraglich vereinbarte Vergütung für jeweils acht Stunden. Der Kläger verlangte Vergütung für weitere 37 Stunden Reisezeit und vertrat die Ansicht, die gesamte Reisezeit von seiner Wohnung bis zur auswärtigen Arbeitsstelle und zurück sei wie Arbeit zu vergüten. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat der Klage überwiegend stattgegeben. Das BAG hat die Entscheidung des LAG aufgehoben und zur neuen Entscheidung an das LAG zurückverwiesen.
Nach Auffassung des BAG hat der Kläger einen Anspruch auf Vergütung der Zeiten als Arbeit, die für die Hin- und Rückreise zur auswärtigen Arbeitsstelle „erforderlich“ sind. In welcher Höhe dieser Anspruch besteht, muss das LAG im fortgesetzten Berufungsverfahren klären. Das BAG hält die Situation des Klägers, der im Rahmen einer vorübergehenden Entsendung nach China gereist ist, mit derjenigen eines Arbeitnehmers vergleichbar, der seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen hat. Die Reisen des Klägers seien ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgt und stünden in untrennbarem Zusammenhang mit der arbeitsvertraglich geschuldeten Leistung. Das BAG hält es allerdings für möglich, die Vergütungspflicht der „erforderlichen“ Reisezeiten auszuschließen. Jedoch müsse das Gesamtentgelt zumindest unter Einschluss der Reisezeit den gesetzlichen Mindestlohn erreichen. Nicht abschließend beurteilen konnte das BAG, ob die Reisezeiten des Klägers „erforderlich“ gewesen sind. Da der Arbeitgeber die Wahl des Reiseverlaufs hinsichtlich des Flugs dem Kläger überlassen habe, sei der Kläger aufgrund seiner Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers im Rahmen des ihm Zumutbaren verpflichtet, den kostengünstigen Reiseverlauf zu wählen. Nach den bisherigen Feststellungen des LAG sei der zusätzliche Aufwand des Umwegs über Dubai jedenfalls nicht „erforderlich“ und damit nicht vergütungspflichtig gewesen.
Für die betriebliche Praxis ergibt sich aus der Entscheidung, dass durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für Reisezeiten getroffen werden kann, sofern dadurch nicht der Anspruch auf Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz unterschritten wird. Damit kann die Vergütung von Reisezeiten auch zukünftig pauschalierend, z. B. durch Gutschrift auf einem Arbeitszeitkonto, geregelt werden. Darüber hinaus unterstreicht das BAG, dass für die Vergütungspflicht von Reisezeit deren arbeitszeitrechtliche Einordnung nach dem Arbeitszeitgesetz (ArbZG) unerheblich ist. Die Qualifikation einer bestimmten Zeitspanne als Arbeitszeit i. S. d. ArbZG führt nicht zwingend zu einer Vergütungspflicht, wie umgekehrt die Herausnahme bestimmter Zeiten aus der Arbeitszeit nicht die Vergütungspflicht ausschließen muss. Reisezeiten sind damit auch zukünftig keine Arbeitszeit i. S. d. ArbZG, solange der Arbeitnehmer während der Reise nicht beansprucht wird (z. B. durch die Anordnung des Arbeitgebers, Akten zu bearbeiten oder Präsentationen vorzubereiten). Vielmehr ist diese Reisezeit als Ruhezeit i. S. d. ArbZG zu bewerten. Ein über zehn Stunden hinausreichender Flug hat also auch zukünftig keine Auswirkungen auf die Frage, inwieweit der Arbeitnehmer im Rahmen des ArbZG eingesetzt wird.
- Autor: Rechtsanwalt Jürgen Lehmann
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