Arbeitsrecht
Januar 2019 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigung - Unverzügliche Anhörung erforderlich?
veröffentlicht am 02.01.2019
Der Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen wurde durch das Bundesteilhabegesetz bereits mit Wirkung zum 30.12.2016 verstärkt: Will der Arbeitgeber einen schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Arbeitnehmer kündigen, muss er die Schwerbehindertenvertretung ordnungsgemäß beteiligen, sonst droht die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (bis 31.12.2017: § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX).
Bislang war unklar, zu welchem genauen Zeitpunkt die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu erfolgen hat und ob diese vor, während oder gar nach der Beteiligung des Betriebsrats und ggf. der Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 167 SGB IX erfolgen kann. Gesetzlich geregelt ist dies nicht.
In § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX ist geregelt, dass die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber sie ohne eine vorherige Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ausspricht. Satz 1 der Vorschrift legt fest, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören hat; er hat der Schwerbehindertenvertretung die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen.
Das Bundesarbeitsgericht hat sich nun erstmals mit dieser gesetzlichen Regelung in einer Entscheidung vom 13.12.2018 auseinandergesetzt und die Anforderungen für eine ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung genauer bestimmt. Auch zu der Frage, ob der Arbeitgeber vor der Kündigung eines schwerbehinderten Menschen zuerst die Schwerbehindertenvertretung anhören muss oder er zunächst einmal die Zustimmung beim Integrationsamt nach § 167 SGB IX beantragen kann, hat das BAG Stellung genommen.
In dem Rechtsstreit geht es um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung der Beklagten aus verhaltensbedingten Gründen. Die im Jahre 1962 geborene und verheiratete Klägerin war seit 1981 als "Sekretärin des ökonomischen Direktors" in einem Krankenhaus tätig. Bei der Klägerin war ein Grad der Behinderung von 40 % festgestellt. Auf den Antrag der Klägerin vom 22.12.2015 wurde mit Bescheid vom 13.07.2016 die Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten festgestellt. Die Beklagte beantragte im Dezember 2016 die behördliche Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Klägerin. Das Integrationsamt erteilte die Zustimmung mit Bescheid vom 20.02.2017. Mit Schreiben vom 7. bzw. 15.03.2017 hörte die Beklagte den Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an und kündigte am 24.03.2017 das Arbeitsverhältnis der Klägerin zum 30.09.2017.
Die Klägerin war der Auffassung, dass die Kündigung unwirksam sei, weil die Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nicht unverzüglich erfolgt sei. Das Arbeitsgericht Leipzig und das Sächsische Landesarbeitsgericht haben der dagegen gerichteten Kündigungsschutzklage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Zur Begründung heißt es aus der bislang vorliegenden Pressemitteilung des BAG:
"Der erforderliche Inhalt der Anhörung und die Dauer der Frist für eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung richten sich nach den für die Anhörung des Betriebsrats geltenden Grundsätzen (§ 102 BetrVG). Die Kündigung ist nicht allein deshalb unwirksam, weil der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a.F. (seit dem 01.01.2018: § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) nicht unverzüglich über seine Kündigungsabsicht unterrichtet oder ihr das Festhalten an seinem Kündigungsentschluss nicht unverzüglich mitgeteilt hat."
Das BAG hat damit klargestellt, dass der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der Anhörung genauso informieren muss wie den Betriebsrat. Es muss daher vom Arbeitgeber so umfassend informiert werden, dass sich die Schwerbehindertenvertretung ohne weitere Nachforschungen ein eigenes Bild von der geplanten Kündigung machen kann. Die Frist der Anhörung richtet sich nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Das Anhörungsrecht der Schwerbehindertenvertretung endet bei einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung innerhalb einer Woche nach Zugang der Unterrichtung (§ 102 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BetrVG). Bei einer außerordentlichen Kündigung hat sie gegenüber dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen Stellung zu beziehen (§ 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG).
Wir werden Sie weiter informieren, sobald die Urteilsgründe vorliegen. Hoffentlich führt diese höchstrichterliche Entscheidung zu Rechtsicherheit mit der Folge, dass sich alle Inte-grationsämter daran orientieren.
- Autor: Rechtsanwältin Anja Vollbrecht
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