September 2020
Außerordentliche Kündigung – Sonderkündigungsschutz von schwerbehinderten Menschen - Kündigungserklärungsfrist
veröffentlicht am 01.09.2020
Mit seinem Urteil vom 27.02.2020 – Az: 2 AZR 390/19 – hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit der Frage beschäftigt, unter welchen Voraussetzungen eine außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen auch nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB rechtswirksam erfolgen kann. Dies ist nach Feststellung des BAG möglich, wenn der Ausspruch der Kündigung unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung des Integrationsamtes erklärt wird. Diesem Urteil des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte in dem Verfahren kündigte mit Schreiben vom 16.03.2016 das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos. Mit Schreiben vom 28.03.2016 informierte die Klägerin die Beklagte über ihren am 03.02.2016 beim Landesamt für Gesundheit und Soziales gestellten Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung und auf Gleichstellung. Daraufhin beantragte die Beklagte am 08.04.2016 die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung. Das Integrationsamt erteilte die Zustimmung mit Bescheid vom 20.04.2016, der beim Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 22.04.2016 einging. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 26.04.2016, das der Klägerin am 28.04.2016 zuging, erneut fristlos.
Auf die Revision der Beklagten hat das BAG die Klage in letzter Instanz abgewiesen:
In seinen Entscheidungsgründen führt das BAG aus, dass die Kündigung nicht schon deshalb unwirksam sei, weil sie nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB erklärt wurde. Nach § 174 Abs. 5 SGB IX könne die außerordentliche Kündigung auch nach Ablauf dieser Frist erfolgen, wenn sie unverzüglich nach Erteilung der Zustimmung erklärt wird. Denn Zweck dieser Vorschrift sei es gerade, zu verhindern, dass der Arbeitgeber aufgrund des Zustimmungsverfahrens vor dem Integrationsamt die Ausschlussfrist zur außerordentlichen Kündigung nicht wahren könne. Entsprechend der Legaldefinition des § 121 Abs. 1 BGB bedeute "unverzüglich" auch im Sinne des § 174 Abs. 5 SGB IX "ohne schuldhaftes Zögern". Da "unverzüglich" weder "sofort" bedeute, noch damit eine starre Zeitvorgabe verbunden sei, komme es auf eine verständige Abwägung der beiderseitigen Interessen an. Nach mehr als einer Woche sei allerdings ohne Vorliegen besonderer Umstände grundsätzlich keine Unverzüglichkeit mehr gegeben. Ob die Frist zur Stellung des Zustimmungsantrags beim Integrationsamt gewahrt wurde, bestimme sich ausschließlich nach § 174 Abs. 2 SGB IX und unterliege nicht der Überprüfung durch die Arbeitsgerichte. Die Arbeitsgerichtsbarkeit sei an die Zustimmung zur Kündigung durch das Integrationsamt gebunden, solange sie nicht nichtig oder rechtskräftig aufgehoben sei.
Aus dieser Entscheidung des BAG ergibt sich für die betriebliche Praxis, dass beim Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen nach Zustimmung des Integrationsamtes durch den Arbeitgeber zügig gehandelt und die Kündigung unverzüglich ausgesprochen werden muss. Maßgeblich dabei ist die sichere Kenntnis von der Entscheidung des Integrationsamtes. Auch wenn diese nur fernmündlich mitgeteilt wird, darf der Arbeitgeber nicht den Eingang des schriftlichen Zustimmungsbescheids abwarten, da dies als schuldhaftes Zögern gewertet wird und zur Unwirksamkeit der Kündigung führen kann. Darüber hinaus gilt es zu beachten, dass es auf den Zugang der Kündigungserklärung beim Arbeitnehmer und nicht nur auf die unverzügliche Absendung des Kündigungsschreibens ankommt.