August 2020
Verfall des Urlaubs bei Krankheit – Gilt die 15-Monatsfrist auch bei unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers?
veröffentlicht am 01.08.2020
Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) erlischt nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 19.02.2019 (9 AZR 423/16) bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung des § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 u. Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Beschäftigten zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat. Nach dieser Entscheidung genügt der Arbeitgeber dann dieser Verpflichtung, wenn er den Arbeitnehmer – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob diese Mitwirkung den Arbeitgeber auch dann trifft, wenn der Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt ist. Nach dem Urteil des LAG Hamm vom 24.07.2019 (5 Sa 676/19) soll diese Verpflichtung den Arbeitgeber im Falle einer längeren Erkrankung nicht treffen.
Dem Bundesarbeitsgericht lag nunmehr der nachfolgende Sachverhalt zur Entscheidung vor:
Die Arbeitnehmerin war seit ihrer Erkrankung im Verlauf des Jahres 2017 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und hatte zuvor 14 Urlaubstage nicht in Anspruch genommen. Die Arbeitgeberin hatte die Beschäftigte weder aufgefordert, ihren Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Mit ihrer Klage begehrt die Arbeitnehmerin festzustellen, dass ihr die restlichen 14 Urlaubstage aus dem Kalenderjahr 2017 weiterhin zustehen. Nach ihrer Ansicht sei der Urlaub deshalb nicht verfallen, weil die Arbeitgeberin es unterlassen habe, sie rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen. Die Arbeitgeberin macht geltend, der Urlaubsanspruch aus dem Jahre 2017 sei spätestens mit Ablauf des 31. März 2019 erloschen. Beide Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf die ersten drei Monate des folgenden Kalenderjahres ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dieses rechtfertigen. Diese Bestimmung hat der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichtes verschiedentlich und unionskonform ausgelegt. Für den Fall, dass der Arbeitnehmer im Urlaubsjahr aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert war, versteht der 9. Senat § 7 Abs. 3 BUrlG nach Maßgabe der Entscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 22. November 2011 (C-214/10) dahingehend, dass gesetzliche Urlaubsansprüche bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres erlöschen. Nach dem Beschluss des Bundesarbeitsgerichtes vom 7. Juli 2020 bedarf es für die Entscheidung des Rechtsstreits nunmehr einer Klärung durch den Gerichtshof der Europäischen Union, ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruches nach Ablauf dieser 15-Monatsfrist und gegebenenfalls einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub bis zum Eintritt der Arbeitsunfähigkeit zumindest teilweise hätte nehmen können.