Arbeitsrecht
Juli 2020 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall oder Einheit des Verhinderungsfalls?
veröffentlicht am 02.07.2020
Das BAG hat sich in einem aktuellen Urteil vom 11.12.2019, Az: 5 AZR 505/18 (Vorinstanz: LAG Niedersachsen, Urteil vom 26.09.2018, Az: 7 Sa 336/18) erneut sehr eindeutig zur Verteilung der Beweislast geäußert, wenn einer ersten Krankschreibung direkt oder innerhalb kürzester Zeit eine weitere Krankschreibung aufgrund einer neuen Krankheit folgt und der Arbeitgeber erneut zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet werden soll.
Grundsätzlich ist der Arbeitgeber bekanntermaßen verpflichtet, einem Arbeitnehmer, der wegen einer Krankheit arbeitsunfähig ist, bis zu sechs Wochen das Gehalt weiterzuzahlen. Wie sieht es jedoch aus, wenn einer ersten Krankschreibung direkt oder innerhalb kürzester Zeit eine weitere Krankschreibung aufgrund einer neuen Krankheit folgt?
Das BAG zieht in diesem Fall seine Grundsätze zur Einheit des Verhinderungsfalls heran. Der Arbeitgeber ist danach bei einer erneuten Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer weiteren Krankheit bzw. Diagnose nur dann zu einer neuen Entgeltfortzahlung verpflichtet, wenn die erste Arbeitsunfähigkeit (nachweislich) bereits beendet war, bevor die zweite Arbeitsunfähigkeit eintrat. Dies zu beweisen, sei Sache des Arbeitnehmers.
In dem zugrundeliegenden Fall war die Klägerin zunächst wegen einer psychischen Erkrankung vom 7. Februar bis zum 18. Mai 2017 arbeitsunfähig. Die Beklagte leistete Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall bis einschließlich 20. März. Im Anschluss bezog die Klägerin auf der Grundlage von Folgebescheinigungen Krankengeld. Am 19. Mai unterzog sich die Klägerin wegen eines gynäkologischen Leidens einer seit längerem geplanten Operation. Ihre Gynäkologin bescheinigte am 18. Mai als "Erstbescheinigung" eine Arbeitsunfähigkeit vom 19. Mai 2020, die bis einschließlich zum 30. Juni dauerte. Im Juli 2017 erbrachte die Klägerin im Hinblick auf ihren gewährten Urlaub und Überstundenausgleich keine Arbeitsleistungen mehr und begann anschließlich eine Psychotherapie bei einem Neurologen.
Die Klägerin erhielt in der Zeit vom 19. Mai bis zum 29. Juni 2017 weder von der Beklagten Entgeltfortzahlung noch von ihrer Krankenkasse Krankengeld. Mit ihrer Klage hat sie für diesen Zeitraum von der Beklagten die Zahlung von ca. 3.000 Euro brutto nebst Zinsen verlangt. Sie hat geltend gemacht, sie sei ab dem 19. Mai 2017 wegen eines neuen Leidens arbeitsunfähig gewesen. Die Arbeitsunfähigkeit wegen ihrer psychischen Erkrankung habe am 18. Mai 2017 geendet. Die Beklagte hat sich auf die Einheit des Verhinderungsfalls berufen und die erneute sechswöchige Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall abgelehnt. Das ArbG hat der Klage stattgegeben, das LAG Niedersachsen hat die Klage - nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten - abgewiesen.
Der 5. Senat des BAG folgte der Auffassung des Arbeitgebers. Er bestätigte das Urteil des LAG und entschied, dass es der Arbeitnehmerin nicht gelungen sei, zu widerlegen, dass kein einheitlicher Verhinderungsfall vorlag. Das Gericht wies in seiner Urteilsbegründung insbesondere auf die Beweislast des Arbeitnehmers hin. Dieser müsse - bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen erster und zweiter Arbeitsunfähigkeit - im Streitfall beweisen, dass die erste Arbeitsunfähigkeit bereits bei Eintritt der weiteren Arbeitsverhinderung beendet war. Vorliegend sei dies der Arbeitnehmerin nicht gelungen, da in der umfassenden Beweisaufnahme der Vorinstanz, in der alle Ärzte der Arbeitnehmerin vernommen wurden, nicht festgestellt werden konnte, dass kein einheitlicher Verhinderungsfall vorlag.
Fazit:
Ist der Arbeitnehmer krankheitsbedingt arbeitsunfähig und schließt sich daran in engem zeitlichen Zusammenhang - am Folgetag oder auch nach einer kurzen zeitlichen Unterbrechung (z.B. nach einem Wochenende) - eine im Wege der "Erstbescheinigung" attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit wegen einer neuen Diagnose an, hat der Arbeitnehmer im Streitfall darzulegen und zu beweisen, dass die vorangegangene (erste) Arbeitsunfähigkeit im Zeitpunkt des Eintritts der weiteren (zweiten) Arbeitsverhinderung geendet hatte. Das kann nur durch Benennung der behandelnden Ärzte als Zeugen gelingen, die dann im Zuge einer Beweisaufnahme in einem Verfahren vor dem ArbG bestätigen müssen, dass entweder die erste Erkrankung zum Zeitpunkt des Auftretens der zweiten Erkrankung als ausgeheilt anzusehen war oder die zweite Erkrankung tatsächlich erst zum Zeitpunkt der Feststellung/Untersuchung aufgetreten war und nicht schon vorher vorlag.
Beides kann häufig nicht in der erforderlichen Klarheit bestätigt werden, so dass sich Konstellationen der geschilderten Art vor allem bei erkennbar "zweifelhaften Fällen" anbieten, die (erneute) Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu verweigern und den Sachverhalt im Streitfall gerichtlich klären zu lassen.
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- Autor: Rechtsanwältin Ruth Wreesmann
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