Arbeitsrecht
Mai 2020 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der Umsetzung eines Arbeitnehmers vor der Entscheidung über dessen Gleichstellungsantrag
veröffentlicht am 01.05.2020
Nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einzelne schwerbehinderte Arbeitnehmer oder die Gesamtheit der schwerbehinderten Arbeitnehmer betreffen, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung zu hören. Diese Regelung gilt gemäß § 151 Abs. 1 SGB IX für schwerbehinderte und diesen gleichgestellte behinderte Menschen. Unterrichtungs- und anhörungspflichtig sind insbesondere Einstellung, Versetzung/Umsetzung, Umgruppierung und Kündigung, daneben aber auch alle anderen sie betreffenden Maßnahmen des Arbeitgebers wie Ermahnungen oder Abmahnungen.
Aber gilt die Verpflichtung zur Beteiligung auch dann, wenn der Arbeitnehmer zwar als ein behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 30 die Gleichstellung beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt hat, aber noch nicht über den Gleichstellungsantrag entschieden wurde? Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einem Beschluss vom 22.01.2020 - 7 ABR 18/18 - mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Zugrunde lag dem Beschluss der Fall eines Jobcenters, der eine Arbeitnehmerin, die als behinderter Mensch mit einem GdB von 30 anerkannt ist, beschäftigt. Am 04. Februar 2015 stellte diese einen Antrag auf Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen bei der Bundesagentur für Arbeit und informierte den Leiter des Jobcenters hierüber. Das Jobcenter setzte die Arbeitnehmerin im November 2015 für die Dauer von sechs Monaten in ein anderes Team um, ohne zuvor die Schwerbehindertenvertretung unterrichtet und angehört zu haben. Mit Bescheid vom 21. April 2016 stellte die Bundesagentur für Arbeit die Arbeitnehmerin rückwirkend zum 04. Februar 2015 einem schwerbehinderten Menschen gleich.
Die Schwerbehindertenvertretung war der Auffassung, das Jobcenter habe sie vorsorglich auch dann zu unterrichten und anzuhören, wenn behinderte Arbeitnehmer, die einen Gleichstellungsantrag gestellt und dies dem Arbeitgeber gegenüber mitgeteilt haben, auf einen anderen Arbeitsplatz umgesetzt werden sollen.
Das Arbeitsgericht hatte dem Antrag stattgegeben und eine vorsorgliche Beteiligung bejaht. Das Landesarbeitsgericht hatte den Antrag abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Schwerbehindertenvertretung blieb vor dem Siebten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne Erfolg.
Vor der konstitutiven (rechtsbegründenden) Feststellung einer Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen nach § 152 SGB IX durch die Bundesagentur für Arbeit ist der Zuständigkeitsbereich der Schwerbehindertenvertretung für die Beteiligung nach § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht eröffnet. Erst ab dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Feststellung entsteht das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung bei der Umsetzung. Zwar wirkt die Gleichstellung nach § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX auf den Tag des Eingangs des Antrags zurück. Dies begründet jedoch nicht die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Schwerbehindertenvertretung vor der Entscheidung über den Gleichstellungsantrag vorsorglich über eine Umsetzung zu unterrichten und zu dieser anzuhören. Das ist mit den Vorgaben des Unionsrechts und der UN-Behindertenrechtskonvention vereinbar.
Die Entscheidung schafft Rechtsklarheit. Für die Praxis bedeutet es, dass eine vorsorgliche Beteiligung nicht erfolgen muss. Während des Schwebezeitraums zwischen Antragstellung und Entscheidung über den Gleichstellungsantrag ist keine Beteiligungspflicht der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX gegeben.
Selbstverständlich helfen die Juristinnen und Juristen des Verbandes gerne den Mitgliedern bei allen damit verbundenen Fragestellungen.
- Autor: Rechtsanwältin Anja Vollbrecht
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