Arbeitsrecht
April 2021 Wahrung der Kündigungserklärungsfrist bei außerordentlicher Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
veröffentlicht am 01.04.2021
Das Bundesarbeitsgericht hat sich in seinem Urteil vom 01. Oktober 2020 zum Az. 2 AZR 238/20 erneut mit der Frage beschäftigt, wie sich der Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats nach § 103 Abs. 1 BetrVG bzw. das bei Ablehnung einzuleitende Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG auf die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auswirken.
Grundsätzlich ist der Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vor jeder Kündigung zu hören. Eine Besonderheit greift bei der außerordentlichen Kündigung von unter anderem Betriebsratsmitgliedern. Diese bedarf nach § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats. Sowohl das Verfahren des Antrags auf Zustimmung des Betriebsrats als auch das Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht kosten in der Regel wertvolle Zeit, so dass sich gerechtfertigter Weise die Frage stellt, inwieweit sich diese verstrichene Zeit unter Umständen auf die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB auswirkt.
Im streitigen Fall war der bei der Beklagten beschäftigte Kläger bis einschließlich 14.05.2018 Mitglied des Betriebsrats. Mit Schreiben vom 30.04.2018 beantragte die Beklagte beim Betriebsrat die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Zwei Tage später verweigerte der Betriebsrat seine Zustimmung. Unter dem 04.05.2018 leitete die Beklagte sodann das Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht ein. Die Beklagte hörte den Betriebsrat am 09.05.2018 vorsorglich erneut zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an, wobei dieser wiederum unter dem 14.05.2018 die Zustimmung verweigerte. Mit Schreiben vom 15.05.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut fristlos. Gegen diese Kündigung vom 15.05.2018 wendete sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage. Neben dem Fehlen eines wichtigen Grundes monierte dieser im Wesentlichen, dass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt sei.
Das Arbeitsgericht hatte die Klage zunächst abgewiesen. Demgegenüber gab das Landesarbeitsgericht ihr auf Berufung des Klägers statt. Anders sah es wiederum das Bundesarbeitsgericht. Es führte im Wesentlichen aus, dass die Kündigung nicht wegen einer Überschreitung der Kündigungserklärungsfrist unwirksam sei, wenn es gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG der Zustimmung des Betriebsrats zu einer außerordentlichen Kündigung bedürfe und der Arbeitgeber innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beim Betriebsrat die erforderliche Zustimmung beantragt sowie bei deren ausdrücklicher oder wegen Fristablaufs zu unterstellender Verweigerung das Verfahren auf Ersetzung der Zustimmung nach § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht eingeleitet habe und das Zustimmungsersetzungsverfahren bei ihrem Ablauf noch nicht abgeschlossen sei. Die Kündigung könne vielmehr auch noch nach Ablauf der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgen, wenn sie unverzüglich nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung erklärt werde. In Ermangelung einer entsprechenden Regelung folge dies aus einer entsprechenden Anwendung von § 174 Abs. 5 SGB IX. Ende der Sonderkündigungsschutz des Amtsträgers, wie im vorliegenden Fall, während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens, müsste der Arbeitgeber die Kündigung unverzüglich aussprechen, nachdem er Kenntnis von der Beendigung des Sonderkündigungsschutzes erlangt habe. An den vorstehenden Grundsätzen ändere sich auch nichts, wenn der Arbeitgeber während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens gegenüber dem an diesem beteiligten Arbeitnehmer eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne Zustimmung des Betriebsrats erkläre. Darin sei jedenfalls dann keine Rücknahme des Zustimmungsersuchens gegenüber dem Betriebsrat zu sehen, wenn die Kündigung nur vorsorglich für den Fall ausgesprochen würde, dass es einer Zustimmung des Betriebsrats nicht mehr bedürfe. Eine derartige Kündigung lasse das Ersuchen um Zustimmung gegenüber dem Betriebsrat und den Fortgang des gerichtlichen Zustimmungsersetzungsverfahrens unberührt.
Aus dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ergibt sich für die betriebliche Praxis, dass es ausweislich der vorgenannten Entscheidung auch Ausnahmen gibt, die eine Überschreitung der Kündigungserklärungsfrist rechtfertigen. Dies insbesondere, wenn, wie im vorliegenden Fall, zur Schaffung der Voraussetzungen einer außerordentlichen Kündigung ein Antrag auf Zustimmung beim Betriebsrat bzw. bei dessen Ablehnung ein Zustimmungsersetzungsverfahren vor dem Arbeitsgericht durchzuführen ist. Regelmäßig wird bereits aus zeitlichen Aspekten die gerichtliche Ersetzung einer vom Betriebsrat verweigerten Zustimmung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB nicht zu erlangen sein. Wichtig hierbei ist allerdings, dass die Kündigung, sofern die Frist des § 626 Abs. 2 BGB abgelaufen ist, unverzüglich nach der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung über die Ersetzung der Zustimmung erklärt wird. Gleiches gilt, wenn der Sonderkündigungsschutz des Amtsträgers während des laufenden Zustimmungsersetzungsverfahrens endet.
Selbstverständlich helfen die Juristinnen und Juristen des Verbandes den Mitgliedern gerne bei allen damit verbundenen Fragestellungen.
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- Autor: Rechtsanwalt Dr. Horst Röben
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