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Arbeitsrecht
Februar 2025 Erschütterung des Beweiswertes einer vorgebrachten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
veröffentlicht am 01.02.2025
Die Erschütterung des Beweiswertes vorgebrachter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen hat in der Praxis seit der Grundsatzentscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08. September 2021 erheblich an Bedeutung gewonnen. Das Bundesarbeitsgericht hat sich nunmehr nochmals mit dieser Thematik in seinem Urteil vom 18. September 2024 - 5 AZR 29/24 auseinandergesetzt.
Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Der klagende Arbeitnehmer war seit Dezember 2020 bei der beklagten Arbeitgeberin als Dozent in der Erwachsenenbildung tätig. Am Freitag, dem 29. April 2022, übergab der klagende Arbeitnehmer nach Dienstschluss dem Geschäftsführer der beklagten Arbeitgeberin die schriftliche Kündigung zum 31. Mai 2022. Am darauffolgenden Montag, dem 02. Mai 2022, erschien der Kläger trotz arbeitsvertraglicher Verpflichtung bis Ende Mai 2022 nicht zur Arbeit. Stattdessen reichte dieser zunächst eine erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 02. bis einschließlich 13. Mai 2022 und sodann eine Folgebescheinigung für den Zeitraum vom 13. Mai 2022 bis einschließlich 31. Mai 2022, mithin dem letzten Arbeitstag, ein.
Am 01. Juni 2022, einem Mittwoch, nahm der klagende Arbeitnehmer eine neue Tätigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen der beklagten Arbeitgeberin auf. Die Arbeitgeberin leistete für diese Zeiträume im Mai 2022 keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Nachdem der Arbeitnehmer diese Zahlung zunächst außergerichtlich erfolglos einforderte, erhob er entsprechende Klage.
Das erstinstanzliche Arbeitsgericht hat der Klage zunächst stattgegeben. Auch das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der beklagten Arbeitgeberin zurückgewiesen.
Im Interesse der Arbeitgeberin hat das Bundesarbeitsgericht die Revision sodann für begründet erachtet und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Unter Aufgriff seiner bisherigen Rechtsprechung zum hohen Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und zu etwaigen Möglichkeiten der Erschütterung wies das Bundesarbeitsgericht im vorliegenden Fall darauf hin, dass der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts erschüttert sei. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen betreffen nicht schlichtweg nur „einen Zeitraum innerhalb der Kündigungsfrist, insbesondere gegen Ende der Kündigungsfrist“, sondern seien nach Übergabe der Kündigung passgenau auf die noch zu erbringenden Arbeitstage abgestimmt. Es genüge daher - so die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts - ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.
Keineswegs müsse die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zeitgleich mit der Kündigung übergeben werden. Auch die Umstände, dass die Folgebescheinigung abweichend von § 5 Abs. 4 S. 1 der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie über die Zweiwochenfrist hinaus erfolgt sei und der klagende Arbeitnehmer am Tag nach deren Auslaufen unmittelbar eine neue Beschäftigung aufgenommen habe, führe zur Erschütterung.
Die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist arbeitgeberseitig in vollem Umfang zu begrüßen. Möglichkeiten des Arbeitgebers, den Beweiswert vorgebrachter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insbesondere im Kontext von gekündigten Arbeitsverhältnissen oder sonstigen Störfällen, haben erhebliche praktische Bedeutung erlangt. Häufig haben in den vergangenen Monaten und Jahren Arbeitnehmer allerdings auch darauf abgestellt, dass bereits bei keiner passgenauen Datierung der noch laufenden Kündigungsfrist und der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eine Störung nicht vorgelegen habe. Das Bundesarbeitsgericht führt insofern mit der hiesigen Entscheidung nicht nur seine Rechtsprechung fort, sondern macht es Arbeitgebern auch leichter, eine Erschütterung des Beweiswertes erfolgreich zu begründen, da im Rahmen der Gesamtwürdigung ein sogenannter zeitlicher Zusammenhang ausreichend ist.
Gerne stehen Ihnen bei sämtlichen Fragen in diesem Zusammenhang jederzeit die Juristinnen und Juristen unseres Verbandes für Rückfragen und Beratungen zur Verfügung.
- Autor: Rechtsanwalt Dr. Horst Röben
- Telefon: 0441 21027-31
- E-Mail: horst.roeben@agv-oldenburg.de