Arbeitsrecht
Februar 2021 Auskunftspflicht des Arbeitnehmers über Erwerbsbemühungen nach Kündigung - Neue Handlungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber?
veröffentlicht am 01.02.2021
Es ist ein typischer Fall in unserem Rechtssystem:
Ein Arbeitgeber kündigt einem Arbeitnehmer und dieser macht von den ihm zustehenden Kündigungsschutzrechten Gebrauch, so dass bei anhängigen Klageverfahren ein Schwebezustand entsteht, da weder die Wirksamkeit noch die Unwirksamkeit der Kündigung feststeht. Da der Arbeitgeber jedoch von der Wirksamkeit der Kündigung überzeugt ist, stellt er die Vergütungszahlung nach Ablauf der jeweiligen Kündigungsfrist ein. Hält das Arbeitsgericht die Kündigung dann für unwirksam, besteht das Arbeitsverhältnis fort und der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf Zahlung der vereinbarten Vergütung, und zwar für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum Urteilsspruch, obwohl er in dieser Zeit keine Arbeitsleistung erbracht hat. Der Anspruch ergibt sich als Annahmeverzugslohn aus §§ 615 S. 1 BGB, 11 KSchG.
Je länger sich also ein Kündigungsschutzprozess hinzieht, desto größer wird das potentielle finanzielle Risiko für den Arbeitgeber und genau das ist bekanntermaßen nicht selten Anlass für Arbeitgeber, Vergleiche zu schließen, die mitunter auch hohe Abfindungszahlungen beinhalten.
Dieser Grundsatz des Annahmeverzuges ist allerdings nicht in Stein gemeißelt. Denn nach
§ 615 S. 2 BGB und § 11 Nr. 1 und Nr. 2 KSchG muss sich der Arbeitnehmer während des Annahmeverzuges
a) tatsächlich erzielte Einnahmen aus einer anderen Beschäftigung oder
b) dasjenige, was er böswillig zu verdienen unterlassen hat,
anrechnen lassen. Im Hinblick auf die vom BAG vorgenommene Definition unterlässt der Arbeitnehmer danach böswillig anderweitigen Verdienst, wenn er vorsätzlich ohne ausreichenden Grund zumutbare Arbeit ablehnt oder vorsätzlich verhindert, dass ihm zumutbare Arbeit angeboten wird. Fahrlässiges, auch grob fahrlässiges Verhalten reicht hingegen nicht aus (BAG Urteil vom 22.03.2017 – 5 AZR 337/16).
Natürlich hat der Arbeitgeber spätestens im Prozess auf Vergütung wegen Annahmeverzuges ein gesteigertes Interesse daran, dem Arbeitnehmer gemäß § 11 Nr. 2 KSchG den Einwand des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes als Einwand entgegenzuhalten. Das Problem: Der Arbeitgeber hat kaum eine Möglichkeit, an Informationen über etwaige Vermittlungsangebote gegenüber dem Arbeitnehmer zu gelangen und wegen des Sozialgeheimnisses hat er auch keinen eigenen Mitteilungsanspruch gegen die Agentur für Arbeit oder gegen das Jobcenter. Auf der anderen Seite trägt er im Prozess aber die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Voraussetzungen, um sich wirksam auf anspruchsvernichtende Einwendungen berufen zu können.
Das bedeutet: Der Arbeitgeber ist auf die Auskünfte des Arbeitnehmers angewiesen, ob sich ihm anderweitige Verdienstmöglichkeiten aufgezeigt haben und ob er insbesondere Vermittlungsvorschläge von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter erhalten hat.
Wie ist damit umzugehen? Besteht eine Auskunftspflicht für den Arbeitnehmer oder nicht?
Mit dieser Fragestellung hatte sich das Bundesarbeitsgericht in einem relativ aktuellen Urteil vom 27.05.2020 (5 AZR 387/19) auseinanderzusetzen und den Auskunftsanspruch bestätigt. Während der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mangels Bestehen einer besonderen Rechtsgrundlage bisher nach der Rechtsprechung keine Auskünfte erteilen, sondern sich zurücklehnen und den Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens abwarten konnte, hat das BAG jetzt eine Kehrtwende eingeleitet und dem Arbeitgeber damit neue Handlungsmöglichkeiten im Prozess eröffnet.
Nach dem Urteil hat der Arbeitnehmer, der Vergütung wegen Annahmeverzugs fordert, über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge Auskunft zu erteilen. Der Arbeitgeber hat nach ausgesprochener Kündigung auch einen Anspruch auf Auskunftserteilung, ob und ggf. wo sich der gekündigte Arbeitnehmer beworben hat. Grundlage des Auskunftsbegehrens ist eine Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis nach § 242 BGB.
Konkret bedeutet dies, dass es zwar grundsätzlich keine Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien eines Rechtsstreits gibt, jedoch von diesem Grundsatz abweichend eine Auskunftspflicht nach Treu und Glauben bestehen kann, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
- Das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung.
- Eine dem Grunde nach feststehende oder im vertraglichen Bereich zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner.
- Eine entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte.
- Die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner.
- Und zudem dürfen durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden.
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall waren gegenüber einem Arbeitnehmer mehrere Kündigungen ausgesprochen worden, wogegen dieser erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage vorging. Im Laufe des Prozesses verstrich die Kündigungsfrist, sodass der Kläger bis zum Ende des Prozesses Leistungen der Agentur für Arbeit und des Jobcenters bezog. Nach Obsiegen des Kündigungsschutzprozesses erhob der Arbeitnehmer Klage auf Zahlung von Annahmeverzugslohn. Das beklagte Unternehmen verweigerte die Vergütung und forderte mit einer Widerklage Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter gegenüber dem Kläger während des Annahmeverzugszeitraums übermittelten Stellenangebote. Das Arbeitsgericht hat der Widerklage stattgegeben. Das LAG hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Auch das BAG hat die hiergegen gerichtete Revision mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Voraussetzungen für einen Auskunftsanspruch nach § 242 BGB vollumfänglich zutreffen, denn:
- Zwischen den Parteien besteht durch das Arbeitsverhältnis die erforderliche Sonderrechtsbeziehung.
- Die geforderte Wahrscheinlichkeit eines Leistungsanspruchs besteht, da der Arbeitnehmer sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet hatte und diese nach § 35 Abs. 1 SGB III verpflichtet ist Arbeitsvermittlung anzubieten.
- Durch das nach § 35 SGB I geschützte Sozialgeheimnis hat der Arbeitgeber keine Möglichkeit oder Anspruch darauf, die nötigen Informationen selbst in Erfahrung zu bringen.
- Der Arbeitnehmer hingegen kann die geforderten Auskünfte unschwer und absolut zumutbar geben, denn er kennt die an ihn übermittelten Vermittlungsvorschläge der Agentur für Arbeit
- Auch die allgemeinen Beweisgrundsätze werden nicht unterlaufen, denn es liegt auch nach Erteilung der Auskunft noch immer am Arbeitgeber die Einwendungen des böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes so substanziell zu begründen, dass sich der Arbeitnehmer im Wege abgestufter Darlegungs- und Beweislast hierzu einlas-sen kann.
Das BAG hat in seinem Urteil betont, dass der von der Beklagten erhobene Auskunftsanspruch der Vorbereitung der in § 11 Nr. 2 KSchG gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Einwendungen gegen die von einem Arbeitnehmer geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche dient. Aus diesem Grund muss der Auskunftsanspruch auch nicht zwingend im Rahmen einer Widerklage geltend gemacht werden. Prozessual naheliegender und dem Beschleunigungsgrundsatz entsprechend sei es zulässig und ausreichend, die Auskunft in die Verteilung der Darlegungslast zu integrieren.
Der Arbeitgeber muss im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zunächst lediglich Indizien dafür vortragen, dass für den Arbeitnehmer eine Arbeitsmöglichkeit bestanden hat und dass er in Kenntnis dieser Arbeitsmöglichkeit vorsätzlich untätig geblieben ist oder die Arbeitsaufnahme verhindert hat. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, darzulegen, weshalb die behaupteten Tatsachen nicht vorliegen. Unter Berücksichtigung des dem Arbeitgeber zuerkannten Auskunftsanspruchs hat der Arbeitnehmer demzufolge konkret Auskunft über die von der Agentur für Arbeit und dem Jobcenter erhaltenden Arbeitsangebote unter Angabe der Kriterien der angebotenen Tätigkeit, der Arbeitszeit, des Arbeitsortes und der Höhe der Vergütung zu erteilen. Dadurch wird der Arbeitgeber in die Lage versetzt, zu prüfen, ob der Arbeitnehmer eine andere zumutbare Beschäftigung abgelehnt und es damit böswillig unterlassen hat, anderweitigen Verdienst zu erzielen.
Die zentrale Frage, was unter „zumutbare Arbeit“ konkret zu verstehen ist, hat das BAG leider offengelassen. In einer früheren Entscheidung aus dem Jahre 2017 (5 AZR 337/16) hat das BAG allerdings klargestellt, dass nicht jede Vergütungsminderung für sich alleine die Unzumutbarkeit begründet, sondern eine Gesamtbetrachtung aller Vertragsbedingungen heranzuziehen sind. Eine anderweitige Arbeit dürfte demzufolge zumutbar sein, wenn ihr Gesamtbild unter Berücksichtigung der Kriterien Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsort und Vergütung in etwa mit der bisherigen Tätigkeit übereinstimmt und nicht mit wesentlichen Nachteilen einhergeht.
Bei der Höhe der Vergütung kann in dem Zusammenhang - nach Auffassung der Verfasserin - ggf. der Maßstab des § 140 Abs. 3 S. 2 Variante 1 SGB III herangezogen werden, wonach eine arbeitslose Person von der Agentur erhaltene Arbeitsangebote in den ersten 3 Monaten der Arbeitslosigkeit nur dann ablehnen darf, wenn damit eine Minderung des der Berechnung des Arbeitslosengeldes zugrundeliegende Arbeitsentgelt um mehr als 20 % einhergeht. Ein BAG-Urteil existiert dazu aber explizit nicht.
Fazit:
Mit der aktuellen Entscheidung vom 27.05.2020 hält das BAG erfreulicherweise nicht mehr an der bisherigen Rechtsprechung des 9. Senats vom 16.05.2000 (Az. 9 AZR 203/99) fest. Bis dato galt eine unterlassene Meldung beim Arbeitsamt nicht als böswilliges Unterlassen. Mittlerweile sei der Arbeitnehmer aufgrund der Regelung des § 2 Abs. 5 SGB III zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung von Arbeitslosigkeit angehalten und verpflichtet. Die Richtung dieses Urteils schränkt das Annahmeverzugsrisiko von Arbeitgebern in Kündigungsschutzprozessen nachhaltig ein. Der Arbeitnehmer solle nicht auf eine volle Entgeltfortzahlung in Form von Annahmeverzugslohn vertrauen, sondern sich mit Vermittlungsangeboten der Agentur für Arbeit auseinandersetzen - so das BAG.
Mehr zu dem Thema erfahren Sie in unserem AGV-Podcast Nr. 4 "Auskunftspflicht des Arbeitsnehmers über Erwerbsbemühungen nach Kündigung – Neue Handlungsmöglichkeiten für den Arbeitgeber?" im Mitgliederportal.
- Autor: Rechtsanwältin Ruth Wreesmann
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