Arbeitsrecht
Januar 2021 Kündigungsschutz bei Schwangerschaft vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme?
veröffentlicht am 02.01.2021
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich am 27.02.2020 (2 AZR 498/19) mit der Fragestellung auseinanderzusetzen, ob das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG auch für eine Kündigung gilt, die nach Abschluss des Arbeitsvertrages aber noch vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme erklärt wird.
Der Arbeitgeber, der in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigte, schloss mit der Arbeitnehmerin im Dezember 2017 einen Arbeitsvertrag über eine Tätigkeit als Rechtsanwaltsfachangestellte. Das Arbeitsverhältnis sollte am 01.02.2018 beginnen und war auf unbestimmte Zeit geschlossen worden. Während einer vereinbarten Probezeit von sechs Monaten sollte das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von zwei Wochen gekündigt werden können. Im Falle einer schuldhaften Nichtaufnahme oder vertragswidrigen Beendigung der Tätigkeit sollte die Arbeitnehmerin eine Vertragsstrafe zahlen.
Mit Schreiben vom 18.01.2018 informierte die Arbeitnehmerin den Arbeitgeber darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt und aufgrund einer chronischen Vorerkrankung "mit sofortiger Wirkung ein komplettes Beschäftigungsverbot" attestiert worden sei. Daraufhin kündigte der Arbeitgeber das bestehende Arbeitsverhältnis - ohne Zustimmung der zuständigen Behörde - mit Schreiben vom 30.01.2018 zum 14.02.2018. Die Arbeitnehmerin erhob Kündigungsschutzklage mit Erfolg:
Das BAG entschied, dass das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MuSchG schon mit Abschluss des Arbeitsvertrages greift. Sofern der Zeitpunkt des Vertragsschlusses und die tatsächliche Arbeitsaufnahme zeitlich voneinander abweichen, gilt das Kündigungsverbot entsprechend. Dies folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut, ergibt aber die Auslegung der Norm.
In § 1 Abs. 2 MuSchG (persönlicher Geltungsbereich) werden die Begriffe "Beschäftigung" und "Beschäftigungsverhältnis" synonym verwendet. Erfasst wird insbesondere ein Arbeitsverhältnis (§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Ein Arbeitsverhältnis entsteht aber nicht erst dann, wenn die Tätigkeit tatsächlich aufgenommen wird, sondern bereits mit Vertragsschluss. Schon bei Vertragsschluss werden wechselseitige Verpflichtungen der Parteien begründet, wie z.B. Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB).
Für eine solche Auslegung spricht der mit dem Kündigungsverbot bezweckte Gesundheits- und Existenzsicherungsschutz. Ein rechtlich geschütztes Bedürfnis, das die wirtschaftliche Existenz sichernde Arbeitsverhältnis zu erhalten, besteht auch bei einer vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme bekannt gegebenen Schwangerschaft.
Die vorstehende Auslegung des Kündigungsverbots gem. § 17 Abs. 1 MuSchG steht im Einklang mit dem Unionsrecht. Der EuGH hatte bereits entschieden, dass das Kündigungsverbot gem. Art. 10 Nr. 1 der Richtlinie 92/85/EWG "während der gesamten Schwangerschaft" besteht. Die Richtlinie legt zwar lediglich Mindestvorschriften fest, schließt deshalb aber nicht aus, dass die Mitgliedstaaten schwangeren Arbeitnehmerinnen einen weitergehenden Schutz gewähren, wie der deutsche Gesetzgeber es getan hat.
Auch bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vorstehende Auslegung des Kündigungsverbots gem. § 17 Abs. 1 MuSchG. Die Beschränkung der unternehmerischen Freiheit der Arbeitgeber durch das Kündigungsverbot ist geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne, um den Schutz von Schwangeren und Müttern nach der Entbindung am Arbeitsplatz sicherzustellen. Art. 6 Abs. 4 GG gewährt Schwangeren und Müttern nach der Entbindung einen Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Dies gebietet auch einen wirksamen arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz. Die Kosten für Zeiten von Beschäftigungsverboten gem. §§ 18, 20 MuSchG müssen die Arbeitgeber nicht allein tragen. Es gilt vielmehr das Umlageverfahren gem. § 1 Abs. 2, § 7 AAG (Umlage U2). Nach § 1 Abs. 2 AAG werden Leistungen gem. §§ 18, 20 MuSchG vollständig von den Krankenkassen erstattet. Die Arbeitgeber müssen nach § 7 AAG lediglich ihren Anteil zur Umlage erbringen.
Das BAG hebt in diesem Urteil noch einmal den Gesundheits-, Arbeitsplatz- und Entgeltschutz der schwangeren Frauen deutlich hervor. Dennoch bleibt dem Arbeitgeber der Ausspruch einer Kündigung unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 1 MuSchG in besonderen Fällen möglich. Es bedarf einer behördlichen Zulässigkeitserklärung zur Kündigung. Für den Antrag auf Kündigungszulassung ist niedersachsenweit das Staatliche Gewerbeaufsichtsamt Celle zuständig.
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Mehr zu dem Thema erfahren Sie in unserem AGV-Podcast Nr. 3 "Kündigungsschutz bei Schwangerschaft vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme?" im Mitgliederportal.
- Autor: Rechtsanwältin Anja Vollbrecht
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